Keine Verwirkung bei bereits gekündigtem Darlehensvertrag

In einer aktuellen Entscheidung des Landgericht Nürnberg-Fürth (Az.: 6 O 9499/14) wurde klar gestellt, dass auch bereits (außerordentlich) gekündigte und zurückbezahlte Darlehensverträge Jahre später noch widerrufen werden können. Eine Verwirkung - wie von den Banken regelmäßig eingewandt - ist dann trotzdem nicht anzunehmen.

Dem Urteil zugrunde lag ein Darlehensvertrag zugrunde, der im Jahr 2009 abgeschlossen und im Jahr 2011 außerordentlich vom Verbraucher gekündigt und abgelöst wurde. Der Widerruf wurde erst im Jahr 2014 erklärt.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth führte aus:


Der Ausgangspunkt der Überlegungen, ob und ggf. wann die Ausübung eines Widerrufs­rechts als verwirkt anzusehen ist, bildet die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers als Reaktion auf das sog. „Heininger-Urteil“ des EuGH vom 13.12.2001 (BKR 2002, 76), ein sog. ewiges Widerrufsrecht einzuführen. Der Gesetzgeber hat bei der Abwägung zwischen Rechtsfrieden durch Befristung einerseits und umfassendem Verbraucherschutz andererseits letzterem den Vorzug gegeben (vgl. ausführlicher Nachweis bei Gansel/Huth/Knorr, BKR 2014, 353, 355 ff.). Dies erfolgte zunächst durch Einführung des § 355 Abs. 3 S. 3 BGB a.F. durch Gesetz vom 23.07.2002 (BGBl. I S. 2850) mit Wirkung zum 01.08.2002. Fortan lautete der entsprechende Absatz:

 

„1Das Widerrufsrecht erlischt spätestens sechs Monate nach Vertragsschluss.2Bei der Lieferung von Waren beginnt die Frist nicht vor dem Tag ihres Eingangs beim Empfänger.3Abweichend von Satz 1 erlischt das Widerrufsrecht nicht, wenn der Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist.“

 

An dieser gesetzgeberischen Entscheidung wurde auch festgehalten bei Novellierung der §§ 355 ff. und §§ 491 ff. BGB in den Jahren 2010 sowie 2014 (vgl. Gansel/Huth/Knorr, a.a.O., S. 356).

 

Die Annahme einer vorschnellen Verwirkung darf diese gesetzgeberischen Entscheidungen nicht konterkarieren. Daher kann sie – worauf die 6. Zivilkammer des Landgerichts bereits im Urteil vom 29.09.2014 (Az. 6 O 2273/14, veröffentlicht in juris) hingewiesen hat, nur mit größter Zurückhaltung und nach Prüfung der überwiegend schutzwürdigen Interessen angenommen werden.

 

b.

Generell schließt die Verwirkung die „illoyal verspätete Inanspruchnahme eines Schuldners“ aus. Unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) setzt sie, insoweit der Verjährung ähnlich, eine zeitliche Grenze für die Rechtsausübung. Ein Recht ist verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (sog. Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (sog. Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Az. VII ZR 177/13 = NJW 2014, 1230, Rz. 13; V ZR 181/13 = NJW-RR 2014, 1043, Rz. 19; jeweils m. w. N.).

 

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben kann vorliegend  eine Verwirkung nicht angenommen werden:

 

aa.

An objektiven Gesichtspunkten ist im Streitfall festzustellen, dass die Klägerin ihr Widerrufsrecht erst 5 ½ Jahren nach Vertragsschluss sowie drei Jahre nach der Beendigung durch außerordentliche Kündigung gem. § 490 Abs. 2 Satz 1 BGB ausgeübt  hat. Weder während der Vertragslaufzeit noch bei Ausspruch der Kündigung wurde ein späterer Widerruf vorbehalten oder angekündigt. Die Beklagte hat sich deswegen zunächst offenbar auf eine vereinbarungsgemäße Vertragsdurchführung und sodann auf eine Vertragsbeendigung durch Kündigung einstellen dürfen.

 

bb.

An subjektiven Gesichtspunkten ist zu Grunde zu legen, dass die Beklagte nach der gesetzlichen Risikoverteilung zu einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung verpflichtet war und das Risiko zu tragen hatte, dass das Widerrufsrecht mangels ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung zeitlich unbefristet besteht. Gleichzeitig war sie im Vergleich zur Klägerin wesentlich besser in der Lage zu erkennen, ob die erteilte Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß war und ob und wie lange ein Widerrufsrecht der Klägerin bestand. Sie hätte daher auch ohne weiteres durch eine auch bei Altverträgen zulässige (vgl. BGH BKR 2011, 242) ordnungsgemäße Nachbelehrung die zweiwöchige Widerrufsfrist einseitig und ohne größeren Aufwand in Gang setzen können. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin vor der Erklärung des Widerrufs von einem bestehenden Widerrufsrecht Kenntnis hatte, sind nicht vorhanden. Andernfalls hätte es nahe gelegen, von diesem Gebrauch zu machen, anstatt den Vertrag (nur) außerordentlich zu kündigen.

 

cc.

Bei Würdigung dieser objektiven und subjektiven Umstände kann eine Verwirkung nicht angenommen werden.

 

Vielmehr ist dem Vertrauen der Beklagten eine vergleichsweise geringe Schutzwürdigkeit beizumessen, insbesondere weil diese es selbst in der Hand hatte, für eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung zu sorgen, nach der gesetzlichen Risikoverteilung das Risiko einer fehlerhaften Belehrung zu tragen hatte und wesentlich besser als die Klägerin in der Lage war, die Ordnungsgemäßheit der (doppelten und widersprüchlichen) Belehrungen einzuschätzen.

 

Dass der Vertrag erst drei Jahre nach der außerordentlichen Kündigung widerrufen wurde, vermag an dieser Einschätzung nichts zu ändern: Auch die vollständige Ablösung eines Vertrages führt nur im Ausnahmefall zu einer Verwirkung des Widerrufsrechts (vgl. ausführlich Rudy, r+s 2015, 115, 118 zum Widerspruchsrecht beim Versicherungsvertrag). Der Differenzierung des OLG Frankfurt in dessen Beschluss vom 10.03.2014 (Az.: 17 W 11/14 = BeckRS 2015, 05107; zustimmend LG Siegen BKR 2015, 116) ist entgegenzutreten. Dieses hat eine Verwirkung mit der Begründung angenommen, dass die dort in Streit stehende Belehrung „grundsätzlich geeignet“ sei, einen durchschnittlichen Verbraucher über das Bestehen eines befristeten Widerrufsrechts aufzuklären. Zu Ende gedacht würde die Entscheidung über die Hintertür die verfestigte BGH-Rechtsprechung konterkarieren. Danach erfordert der Schutz des Verbrauchers eine umfassende, unmissverständliche und für den Verbraucher eindeutige Belehrung (vgl. nur NJW 2002, 3396; NJW 2007, 1946, Rz. 13; NJW 2009, 3572, Rz. 14; NJW-RR 2012, 1197, Rz. 19). In diesem Sinne ist der Verbraucher nicht nur über sein Widerrufsrecht zu informieren sondern auch in die Lage zu versetzen, dieses auszuüben. Er muss daher auch eindeutig über den Beginn der Widerrufsfrist aufgeklärt werden (BGH NJW-RR 2009, 709, Rz. 14). Nicht verkannt wird, dass sowohl das OLG Düsseldorf in seinem Urteil vom 09.01.2014 (BKR 2014, 287) als auch das OLG Köln in seinem Urteil vom 25.01.2012 (BKR 2012, 162) ebenfalls die Verwirkung von bereits abgelösten Darlehensverträgen angenommen haben. Allerdings lagen beiden Entscheidungen Fälle zugrunde, in denen zwischen Ablösung und Widerruf knapp fünf Jahre lagen. Nachdem vorliegend jedoch zwischen Kündigung des Darlehens und Widerruf gerade einmal drei Jahre lagen und eine (fiktive) regelmäßige Verjährungsfrist noch nicht einmal abgelaufen wäre, ist eine Verwirkung nicht anzunehmen. Ob und inwieweit der Umstand, dass ein Darlehnsvertrag vorzeitig abgelöst wurde, sich im Rahmen des Verwirkungseinwands überhaupt auswirkt, kann daher vorliegend dahinstehen.