(zuletzt bearbeitet am 30.12.2020)
Die Allianz hat in den Jahren 2010 bis 2014 sehr unterschiedliche Widerrufsinformationen verwendet. Unsere Kanzlei hat festgestellt, dass in zahlreichen Fällen erhebliche Abweichungen vom jeweiligen gesetzlichen Muster festzustellen sind. In anderen Fällen sind in den Verträgen gesetzliche Pflichtangaben nicht oder falsch wiedergegeben.
Viele Widerrufsinformationen, die die Allianz Lebensversicherungs-AG in den Jahren 2012 bis 2014 verwendete lauteten:
Information zum Widerrufsrecht
Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat. Der Darlehensnehmer hat alle Pflichtangaben erhalten, wenn sie in der für den Darlehensnehmer bestimmten Ausfertigung seines Antrags oder in der für den Darlehensnehmer bestimmten Ausfertigung der Vertragsurkunde oder in einer für den Darlehensnehmer bestimmten Abschrift seines Antrags oder der Vertragsurkunde enthalten sind und dem Darlehensnehmer eine solche Unterlage zur Verfügung gestellt worden ist. Über in den Vertragstext nicht aufgenommene Pflichtangaben kann der Darlehensnehmer nachträglich in Textform informiert werden; die Widerrufsfrist beträgt dann einen Monat. Der Darlehensnehmer ist mit den nachgeholten Pflichtangaben nochmals auf den Beginn der Widerrufsfrist hinzuweisen. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu richten an:
Allianz Lebensversicherungs-AG
Hypothekenabteilung
An den Treptowtowers 3
12435 Berlin
Unsere Telefaxnummer lautet (0721)142-21144
Widerrufsfolgen
Der Darlehensnehmer hat innerhalb von 30 Tagen das Darlehen, soweit es bereits ausbezahlt wurde, zurückzuzahlen und für den Zeitraum zwischen der Auszahlung und der Rückzahlung des Darlehens den vereinbarten Sollzins zu entrichten. Die Frist beginnt mit der Absendung der Widerrufserklärung. Für den Zeitraum zwischen Auszahlung und Rückzahlung ist bei voll-ständiger Inanspruchnahme des Darlehens pro Tag ein Zinsbetrag in Höhe von 23,76 Euro [bzw. 1,94 EUR à KfW-Vertrag] zu zahlen. Dieser Betrag verringert sich entsprechend, wenn das Darlehen nur teilweise in Anspruch genommen wurde. Wenn der Darlehensnehmer nachweist, dass der Wert seines Gebrauchsvorteils niedriger war als der Vertragszins, muss er nur den niedrigeren Betrag zahlen. Dies kann z.B. in Betracht kommen, wenn der marktübliche Zins geringer war als der Vertragszins.
Der Darlehensnehmer hat dem Darlehensgeber auch die Aufwendungen zu ersetzen hat, die der Darlehensgeber an öffentliche Stellen erbracht hat und nicht zurückverlangen kann.
Anerkannt ist insofern, dass diese nur bei richtiger und formgerechter Verwendung des Mustertextes eintritt; Weglassungen oder Ergänzungen oder Informationen, die in dem Mustertext oder den Gestaltungshinweisen nicht vorgesehen sind, hindern den Eintritt der Fiktion (Palandt-Weidenkaff, BGB, 73. Aufl. 2013, Art. 247 § 6 EGBGB, Rn. 4). Sachliche Änderungen führen zum Verlust der Gesetzlichkeitsfiktion (Schürnbrand in: Münchener Kommentar zum BGB , 6. Auflage (2012), § 492, Rn. 30).
Vorliegend fehlten bereits die Angaben der richtigen Überschriften: Nach dem zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gültigen gesetzlichen Muster (Anlage 6 zu Artikel 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB) hätten die Belehrungen als
„Widerrufsinformation“
überschrieben werden müssen. Darüber hinaus hätte der erste Absatz mit dem Begriff
„Widerrufsrecht“
betitelt werden müssen.
b.
Darüber hinaus befindet sich am Ende der Widerrufsinformation die folgende Textpassage:
„Der Darlehensnehmer hat dem Darlehensgeber auch die Aufwendungen zu ersetzen, die der Darlehensgeber an öffentliche Stellen erbracht hat und nicht zurückverlangen kann.“
Gemäß Anmerkung 7 des gesetzlichen Belehrungsmusters ist dieser Absatz gerade nur aufzunehmen, wenn der Darlehensgeber gegenüber öffentlichen Stellen Aufwendungen gemäß § 495 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 Halbsatz 1 BGB gemacht hat und er sich für den Fall des Widerrufs die Geltendmachung dieses Anspruchs vorbehalten will.
Die von der Allianz Lebensversicherungs-AG im Jahre 2013 verwendete Widerrufsinformation lautete meistens wie folgt:
Information zum Widerrufsrecht
Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem Sie alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angabe zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat. [...] Der Widerruf ist zu richten an:
Allianz Lebensversicherungs-AG
Hypothekenabteilung
[...]
Widerrufsfolgen
Der Darlehensnehmer hat innerhalb von 30 Tagen das Darlehen, soweit es bereits ausbezahlt wurde, zurückzuzahlen und für den Zeitraum zwischen der Auszahlung und der Rückzahlung des Darlehens den vereinbarten Sollzins zu entrichten. Die Frist beginnt mit der Absendung der Widerrufserklärung. Für den Zeitraum zwischen Auszahlung und Rückzahlung ist bei vollständiger Inanspruchnahme des Darlehens pro Tag ein Zinsbetrag in Höhe von XX,xx EUR zu zahlen. Dieser Betrag verringert sich entsprechend, wenn das Darlehen nur teilweise in Anspruch genommen wurde. Wenn der Darlehensnehmer nachweist, dass der Wert seines Gebrauchsvorteils niedriger war als der Vertragszins, muss er nur den niedrigeren Betrag zahlen. Dies kann z.B. in Betracht kommen, wenn der marktübliche Zins geringer war als der Vertragszins.
(Stand: 30.12.2020)
Soweit die obige Widerrufsinformation verwendet wurde, um Eheleute über ihr Widerrufsrecht aufzuklären, war sie verwirrend: Aufgrund der konkreten Gestaltung der Widerrufsinformation muss sich bei Ehegatten nämlich der Eindruck aufdrängen, dass zwar beiden Ehegatten das Widerrufsrecht zustand, allerdings nur der Ehemann die Pflicht zur Rückzahlung des Darlehensvertrages hat.
Die vorliegenden Widerrufsinformation ist nämlich dadurch gekennzeichnet, dass sich der erste Teil der Widerrufsinformation in der 2. Person Plural-Form an beide Darlehensnehmer ("Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen [...]") richtet, während im zweiten Teil ("Widerrufsfolgen") nur „[d]er Darlehnsnehmer“ angesprochen ist.
Dies bedeutet, dass der Verbraucher falsch belehrt wurde und der Widerruf damit noch Jahre später - auch noch im Jahr 2021 - ausgesprochen werden kann.
Mit nunmehr veröffentlichtem Urteil vom 04.11.2022 – 12 O 198/21 hat das Landgericht Kiel die Sparkasse verpflichtet, an ihren Kunden die vereinnahmte Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von über 14.000,00 € zurückzuzahlen! Ein Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung nach § 502 BGB ist nach Ansicht des Gerichts ausgeschlossen, wenn im Vertrag die Angaben über die Laufzeit des Vertrags, das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers oder die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung unzureichend sind. Unzureichend sind nicht nur solche Informationen, die für den Verbraucher nicht nachvollziehbar sind, sondern auch unrichtige Angaben.
Das Landgericht Ravensburg in einem Verfahren VR Bank Ravensburg-Weingarten eG hat mit nunmehr veröffentlichtem Beschluss vom 8.8.2022 (Aktenzeichen: 2 O 316/21) dem Europäischen Gerichtshof wichtige Fragen im Zusammenhang mit der Berechnung der sog. Vorfälligkeitsentschädigung vorgelegt. Unter anderem fragt das Landgericht, ob der Begriff der „angemessenen und objektiven Entschädigung für die möglicherweise entstandenen, unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits zusammenhängenden Kosten“ in Art. 25 Abs. 3 RL 2014/17/EU1 dahingehend auszulegen, dass die Entschädigung auch den entgangenen Gewinn des Kreditgebers, insbesondere die ihm infolge der vorzeitigen Rückzahlung entgehenden zukünftigen Zinszahlungen erfasst. Sodann fragt das Landgericht, ob das Unionsrecht und speziell Art. 25 Abs. 3 RL 2014/17/EU Vorgaben für die Berechnung der bei dem entgangenen Gewinn zu berücksichtigenden Einnahmen des Kreditgebers aus der Wiederanlage eines vorzeitig zurückgezahlten Immobiliar-Verbraucherkredits enthält, und gegebenenfalls welche.
Schließlich stellt es die folgenden Fragen:
a) Hat die nationale Regelung für die Berechnung daran anzuknüpfen, in welcher Art der Kreditgeber den vorzeitig zurückgezahlten Betrag tatsächlich verwendet?
b) Darf eine nationale Regelung es dem Kreditgeber gestatten, die Entschädigung für die vorzeitige Rückzahlung anhand einer fiktiven Wiederanlage in sicheren Kapitalmarkttiteln mit kongruenter Laufzeit zu berechnen (sog. Aktiv-Passiv-Methode)?
Fällt in den Anwendungsbereich des Art. 25 RL 2014/17 auch der Fall, dass der Verbraucher einen Immobiliar-Verbraucherkreditvertrag zunächst aufgrund eines vom nationalen Gesetzgeber vorgesehenen Kündigungsrechts kündigt, bevor er den Kredit vorzeitig an den Kreditgeber zurückzahlt?
Die PSD-Bank kann von ihren Kunden, die den Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrages erklärt haben, keine Rechtsanwaltsgebühren verlangen, auch wenn sich der Widerruf später als unwirksam herausstellt. Die PSD-Bank hat Klage in der ersten Instanz vor dem Amtsgericht Schweinfurt verloren. In der zweiten Instanz wurde die Berufung nach Hinweis des Landgerichts Schweinfurt zurückgenommen.
Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz hat mit viel beachtetem Beschluss vom 22.07.2022 (Aktenzeichen: VGH B 70/21) eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz vom 9. Februar 2022 (Aktenzeichen: 10 U 246/21) für gegenstandslos erklärt. Dort war ein Widerspruch gegen einen Versicherungsvertrag (letztinstanzlich) als rechtsmissbräuchlich angesehen, ohne dass die Frage dem Europäischen Gerichtshof im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV vorgelegt worden war. Dies sieht der Verfassungsgerichtshof als ein Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter. Die Entscheidung hat Potenzial, sich auf die laxe Handhabung der Verwirkungs-/Rechtsmissbrauchseinrede in Darlehenswiderrufsfällen auszuwirken, hat der Verfassungsgerichtshof doch klargestellt: "Vielmehr ist bei der Regelung der Modalitäten des Rücktrittsrechts die praktische Wirksamkeit der mit der Richtlinie verfolgten Zwecke zu wahren [...]" Dies gilt für Verbraucherdarlehensfälle im selben Umfange!
Das Saarländische Oberlandesgericht hat mit Urteil vom 22.04.2021 (Az.: 4 U 27/20) einer Klage auf Widerruf eines endfälligen Darlehensvertrages stattgegeben. Im Darlehensvertrag hatte die Bank die Höhe der monatlichen Annuitäten nicht angegeben. Besonderheit des Falles war außerdem, dass der Widerruf einen Tag nach Ablösung des Darlehensvertrages erklärt wurde.