18,4 % Zinsen können Wucher sein

Ein Darlehensvertrag mit einem Nominalzinssatz von 15,20 % und einem Effektivzinssatz von 18,40 % ist nach Ansicht des Landgerichts Erfurt (Urteil vom 15.05.2023, Aktenzeichen: 9 O 101/23) wegen Wucher sittenwidrig und nichtig, wenn es einem Darlehensnehmer ausbezahlt wird, der nur 2.000,00 € pro Monat verdient. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung insbesondere einen Vergleich zwischen dem Zins und der EWU-Zinsstatistik für Konsumentenkredite mit einer Laufzeit von bis zu 5 Jahren (SUD 114) zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses herangezogen. Weicht dieser um 100 % ab, ist von Sittenwidrigkeit auszugehen.

 

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

1

Die Klägerin macht gegenüber dem Beklagten eine abgetretene Forderung aus einem Verbraucherkredit geltend.

 

2

Am 05.11.2017 schloss die C… GmbH mit dem Beklagten einen Darlehensvertrag über einen Kredit von netto 10.548,35 EUR mit einem Nominalzinssatz von 15,20 % p.a. (Anlage K1). Der effektive Jahreszins betrug 18,40 %. Einschließlich Zinsen und Kosten belief sich der Gesamtkredit auf 19.339,80 EUR und war mit 60 Monatsraten von je 322,33 EUR zurückzuzahlen. Die Beantragung des Kredits erfolgte durch den Beklagten online über den Marktplatz von „D…“.

 

3

Im Rahmen der Beantragung eines Kredites auf dem Marktplatz von „D…“ gab der Beklagte seine persönlichen Daten beim Marktplatz von „D…“ in die hierfür vorgesehene Antragsmaske ein. Laut der eingegebenen Daten ist der Beklagte ledig, bezieht als Arbeiter einen Nettolohn von monatlich 2.000,00 EUR und zahlt eine monatliche Miete von 700,00 EUR. Den eigentlichen Vertrag unterzeichnete der Beklagte mittels qualifizierter elektronischer Signatur. Dabei übermittelte der Beklagte sein Ausweisdokument via Internet im Rahmen eines sog. Video-Ident-Verfahrens, einem VideoChat in Echtzeit. Im Anschluss an die Identifizierung wurde dem Beklagten ein Ident-Code an dessen Mobilfunknummer gesandt. Dieser Code wurde vom Beklagten zum Abschluss in die Antragsmaske eingegeben. Die Klägerin nahm den Darlehensantrag an und zahlte das Darlehen wie vereinbart an den Beklagten aus.

 

4

Der Beklagte hielt die Zahlungsvereinbarung nicht ein. Nachdem er mit zwei aufeinanderfolgenden Monatsraten und 5 % des Nennbetrages des Kredits in Verzug geraten war, teilte die Bank dem Beklagten den Rückstand mit und mahnte ihn zur Zahlung binnen zwei Wochen auf. Gleichzeitig kündigte die Bank für den Fall der Nichtzahlung die Fälligstellung der gesamten Restschuld an. Nachdem der Beklagte den Rückstand nicht bezahlte, wurde der Darlehensvertrag nach Fristablauf mit Schreiben vom 18.09.2018 (Anlage K2) gekündigt und der offene Saldo zur sofortigen Zahlung fällig gestellt, wobei die Bank die nicht verbrauchten Kreditzinsen und laufzeitabhängigen Kosten errechnete und gutschrieb. Gleichzeitig wurde der Beklagte zur Zahlung der noch offenen Kreditforderung in Höhe von 11.548,47 EUR aufgefordert.

 

5

Nachdem der Beklagte daraufhin keine weiteren Zahlungen leistete, hat die Klägerin die E… GmbH mit der Einziehung der Forderung beauftragt. Für die … tätigkeit wurde eine Vergütung in Höhe von 805,20 EUR berechnet.

 

6

Die Klägerin ist der Meinung, dass der Darlehensvertrag wirksam und insbesondere nicht wegen einer sittenwidriger Überhöhung der vereinbarten Verzinsung nichtig sei.

 

7

Eine Gesamtwürdigung aller Umstände führe vorliegend nicht dazu, dass ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestehe. Die streitgegenständliche Finanzierung weise die Besonderheit auf, dass Kreditsuchende auf dem Marktplatz von „D…“ Kreditgesuche einstellen könnten, dabei die konkreten Konditionen aus unterbreiteten Vorschlägen selbst aussuchten und damit diese selbst zum Gegenstand seines Kreditgesuchs machten.

 

8

Das Landgericht München I (Urteil vom 07.11.2019 – 27 O 10720/19, Anlage K3) habe in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden, dass sich die der Statistik der Deutschen Bundesbank zu entnehmenden Zinssätze auf Darlehen für Schuldner bezögen, die von den Banken als kreditwürdig eingeschätzt worden seien. Übernehme eine Bank hingegen ein Kreditrisiko, welches andere Banken mangels Kreditwürdigkeit des Kunden überhaupt nicht mehr übernehmen wollten, so sei dieses besondere Rückzahlungsrisiko bei der Feststellung eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung zu berücksichtigen. Bei Finanzierungen der vorliegenden Art sei der Zinssatz für geduldete Überziehungen des Dispositionskredits als Vergleichszinssatz heranzuziehen, der sich üblicherweise im Bereich von 15 % bis 16 % bewege.

 

9

Die Klägerin beantragt:

 

Der Beklagte wird aus Verbraucherkreditvertrag verurteilt, an die Klägerin 11.548,47 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 19.10.2019 sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 805,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

 

10

Die Klage wurde dem Beklagten am 09.03.2023 zugestellt. Eine Klageerwiderung erfolgte nicht.

 

11

Mit gerichtlicher Verfügung vom 31.03.2023 hat das Landgericht Erfurt der Klägerin den Hinweis erteilt, dass nach Auffassung der Kammer der Darlehensvertrag wegen sittenwidriger Überhöhung des vereinbarten Zinses nichtig sei, weil der vereinbarte effektive Jahreszins (18,40 %) in einem auffälligen Missverhältnis zu dem Marktzins stehe, der nach der EWU-Zinsstatistik für Konsumentenkredite mit einer Laufzeit von bis zu 5 Jahren (SUD 114) zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (November 2017) nur 4,31 % betragen habe.

 

12

Die Klägerin hat auf den Hinweis des Landgerichts Erfurt reagiert und mitgeteilt, dass sie an der Rechtsauffassung festhalte, wonach der Vertrag nicht sittenwidrig sei.

 

Die zulässige Klage der Bank ist nach Ansicht des Landgerichts unbegründet:

 

14

Die Klage war im schriftlichen Vorverfahren gemäß § 331 Abs. 2, 2. Hs. ZPO abzuweisen, weil das tatsächliche Vorbringen der Klägerin den mit dem Klageantrag verfolgten Anspruch nicht rechtfertigt. Die Klage ist unschlüssig. Der Vortrag der Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen der für den geltend gemachten Anspruch in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen.

 

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Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Rückführung des Darlehens (§ 488 Abs. 1 S. 2 BGB) nicht zu, weil der Darlehensvertrag gemäß § 138 Abs. 2 BGB nichtig ist.

 

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Ein Darlehensvertrag ist als wucherähnliches Geschäft nichtig, wenn zwischen den Leistungen des Darlehensgebers und den durch einseitige Vertragsgestaltung festgelegten Gegenleistungen des Darlehensnehmers ein auffälliges Missverhältnis besteht und der Darlehensgeber die wirtschaftlich schwächere Lage des Darlehensnehmers und dessen Unterlegenheit bei der Festlegung der Darlehensbedingungen bewusst zu seinem Vorteil ausnutzt. Dem steht es gleich, wenn sich der Darlehensgeber als objektiv sittenwidrig Handelnder zumindest leichtfertig der Einsicht verschließt, dass sich der Darlehensnehmer nur aufgrund seiner wirtschaftlich schwächeren Lage auf die ihn beschwerenden Darlehensbedingungen einlässt.

 

17

Inhalt und Zweck des Darlehensgeschäfts und der sonstigen Geschäftsumstände sind zusammenfassend zu würdigen. Für diese Gesamtwürdigung sind die vertraglich festgelegten Leistungen und Gegenleistungen sowie die sonstigen vertraglichen Regelungen – auch die der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Darlehensgebers, soweit diese wirksam sind – heranzuziehen. Besonderes Gewicht kommt dabei dem Verhältnis zwischen dem Darlehensentgelt, dem Zins, und der Hauptleistung des Darlehensgebers, der Übertragung der Kapitalnutzungsmöglichkeit auf Zeit, zu. (vgl. BGH, Urteil vom 12.03.1981 – III ZR 92/79, Rn. 22).

 

18

Für die Beurteilung ist insofern regelmäßig ein Wertvergleich zwischen den gezahlten Zinsen und den marktüblichen Zinsen vorzunehmen. Für den Wertvergleich kommt es entscheidend darauf an, welchen Preis ein Kreditnehmer für einen vergleichbaren Kredit bei der Mehrzahl der übrigen Anbieter hätte zahlen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 10.07.1986 – III ZR 133/85). Nachdem die Deutsche Bundesbank den Schwerpunktzins nicht mehr veröffentlicht, kann grundsätzlich die EWU-Zinsstatistik als Ausgangspunkt des Zinsvergleichs herangezogen werden, möglicherweise mit Zu- und Abschlägen, weil es noch keinen europaweiten Konsumentenkreditmarkt gibt (vgl. Palandt-Ellenberger, BGB, 82. Aufl., Rz. 26 zu § 138).

 

19

Ein auffälliges Missverhältnis ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Vertragszins den marktüblichen Effektivzins relativ um 100 % oder absolut um 12 Prozentpunkte übersteigt (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Urteil vom 13.03.1990 – XI ZR 252/89, Rn. 17). Ein solches auffälliges Missverhältnis ist vorliegend anzunehmen.

 

20

Bei der Feststellung des auffälligen Missverhältnisses und dem darauf beruhenden Zinsvergleich müssen grundsätzlich auch die Besonderheiten des konkreten Einzelfalls berücksichtigt werden, sofern solche festgestellt werden können.

 

21

In diesem Zusammenhang weist die Klägerin darauf hin, dass die streitgegenständliche Finanzierung die Besonderheit aufweise, dass Kreditsuchende auf dem Marktplatz von „D…“ Kreditgesuche einstellen könnten, dabei selbst die konkreten Konditionen aus unterbreiteten Vorschlägen selbst aussuchten und somit diese selbst zum Gegenstand seines Kreditgesuchs machten. Der Beklagte habe den vorliegenden Kredit insoweit gerade nicht bei einer Bank aufgenommen, die ihm angesichts seiner Bonität vermutlich auch gar kein Darlehen gewährt hätte. Stattdessen habe sich der Beklagte für eine Finanzierung durch eine Vielzahl privater Einzelanleger über die „D…“-Plattform entschieden. Auch wenn der Kreditvertrag mit der C… Bank geschlossen worden sei, hätten nicht Banken investiert. Der Darlehensbetrag stamme von privaten Anlegern. Dies habe der Beklagte auch gewusst, als er die Website von „D…“ besucht habe.

 

22

Die Klägerin nimmt im Rahmen ihren Ausführungen Bezug auf Rechtsprechung des LG München I (Urteil vom 07.11.2019 – 27 O 10720/19, Anlage K3), wonach das besondere Rückzahlungsrisiko, welches bestehe, wenn ein Kunde bei einem normalen Kreditinstitut mangels Kreditwürdigkeit keinen Ratenkredit (mehr) erhalten hätte, bei der Feststellung des auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung nicht unberücksichtigt bleiben könne. Es sei daher der Zinssatz für geduldete Überziehungen des Dispositionskredits als Vergleichszinssatz heranzuziehen, der sich üblicherweise im Bereich 15 % bis 16 % bewege (so auch LG Landshut, Hinweisbeschluss vom 25.04.2014 – 23 O 3611/13). Selbst der Bundesgerichtshof habe in einem Fall, in welchem ein Privatkredit mit einem Zinssatz von 24 % vergeben worden sei, kein grobes Missverhältnis angenommen, weil sich die der Bundesbankstatistik zu entnehmenden Zinssätze auf Darlehen an Schuldner bezögen, die von den Banken als kreditwürdig eingeschätzt worden seien.

 

23

Der Auffassung der Klägerin kann nicht gefolgt werden. Vorliegend stellen sich weder das Finanzierungskonzept das Marktplatzes „D…“, noch die fehlende Kreditwürdigkeit des Beklagten als eine Besonderheit dar, die es rechtfertigen würden, von der EWU-Zinsstatistik als Vergleichsmaßstab des Marktzinses gegenüber dem effektiven Jahreszins abzuweichen. Denn maßgeblich ist, dass nur solche Besonderheiten des Einzelfalls einer Kreditvergabe bei der Feststellung eines auffälligen Missverhältnisses berücksichtigt werden, die auch gesetzeskonform sind.

 

24

Am 05.11.2017 ist zwischen der C… GmbH und dem Beklagten ein Verbraucherdarlehensvertrag (§ 491 Abs. 2 S. 1 BGB) geschlossen worden. Dabei ist es für die Beurteilung, ob der Vertrag sittenwidrig ist, unerheblich, ob die Darlehensvaluta von privaten Investoren aufgebracht wurde, denn als Darlehensgeberin durfte die C… den Verbraucherdarlehensvertrag mit dem Beklagten gemäß § 505 a Abs. 1 S. 2 BGB (gültig seit dem 22.07.2017) nur abschließen, wenn aus der Kreditwürdigkeitsprüfung, die die Bank durchführen muss, hervorgeht, dass bei dem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag keine erheblichen Zweifel daran bestehen, dass der Darlehensnehmer seinen Verpflichtungen, die im Zusammenhang mit dem Darlehensvertrag stehen, vertragsgemäß nachkommen kann.

 

25

Die Vorschrift des § 505 a Abs. 1 S. 2 BGB beinhaltet zwar kein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB. Auch sind die Rechtsfolgen bei Verletzung der Prüfungspflicht durch den Darlehensgeber in § 505 d BGB geregelt. Allerdings führt die gesetzliche Verpflichtung einer sorgfältigen Kreditwürdigkeitsprüfung dazu, dass es bei Zugrundelegung der Kreditvergaberichtlinien von normalen Banken grundsätzlich kein erhöhtes Rückzahlungsrisiko geben kann, welches bei der Feststellung des Verhältnisses zwischen Marktzins und Vertragszins zusätzlich zu berücksichtigen wäre. Anders wäre dies nur dann zu beurteilen, wenn die Vertragsparteien die mangelnde Kreditwürdigkeit es Darlehensnehmers und somit ein Unterlassen der gesetzlich vorgeschriebenen, fundierten Prüfung der Bank, rechtswirksam zur Geschäftsgrundlage des Vertrages gemacht hätten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine solche Vertragsklausel in Form von Allgemeinen Geschäftsbedingungen – wie regelmäßig bei Vertragskonditionen von Krediten, die im Internet geschlossen werden – wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB im Zweifel unwirksam ist, weil sie mit dem wesentlichen Grundgedanken des § 505 a Abs. 1 S. 2 BGB (Kreditwürdigkeitsprüfung), von der abgewichen werden soll, nicht zu vereinbaren ist.

 

26

Die §§ 505 a ff. BGB gehen damit von einem gewandelten Verständnis der Kreditwürdigkeitsprüfung aus. Sie wird nicht mehr nur als eine dem Selbstschutz des Darlehensgebers bzw. dem öffentlichen (Solvabilitäts-)Interesse dienende, sondern auch als eine individualschützende zugunsten des Verbrauchers wirkende Pflicht, angesehen (BT-Drs 18/5922 vom 07.09.2015, S. 96). In der Sache verbirgt sich dahinter das Bestreben des Gesetzgebers, die Vergabe von Krediten an Personen mit unzureichendem finanziellen Leistungsvermögen möglichst zu unterbinden. Es handelt es sich um die gesetzliche Ausprägung des Prinzips der verantwortlichen Kreditvergabe (Nietsch, in: Ermann, BGB, 16. Auflage, § 505 a BGB, Rn. 2).

 

27

Die Klägerin räumt in diesem Zusammenhang selbst ein, dass der Beklagte, wenn er den Kredit bei einer (anderen) Bank aufgenommen hätte, angesichts seiner Bonität vermutlich gar kein Darlehen bekommen hätte. Dies beruht darauf, dass die C… gerade keine Kreditwürdigkeitsprüfung durchführt, die den Kreditvergaberichtlinien von Banken entspricht, weshalb oftmals erhebliche Zweifel an der Kreditwürdigkeit eines Kunden i.S.v. § 505 a Abs. 1 S. 2 BGB verbleiben.

 

28

So sieht die Kreditwürdigkeitsprüfung des Marktplatzes „D…“ – welche für die erkennende Kammer aus dem Internet allgemeinkundig i.S.v. § 291 ZPO ist – beispielsweise vor, dass ein Kunde zur Glaubhaftmachung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse lediglich „optional“ seine Kontoauszüge der letzten 120 Tage zur Verfügung stellen kann (https://www….: „Möchtest Du zusätzlich Dein Konto verbinden? Das ist optional, Du kannst auch weiter machen ohne Dein Konto zu verbinden“). Stellt der Kunde die Kontoauszüge nicht zur Verfügung, erhält er lediglich nicht die „Vergünstigung“ eines „niedrigeren Zinssatzes“, die bei Vorlage von Kontoauszügen möglich gewesen wäre.

 

29

Die C… stellt also solchen Darlehensnehmern, deren Angaben zur Kreditwürdigkeit möglicherweise nicht vollständig sind und die sie auch nicht glaubhaft machen müssen, ein Darlehen nur gegen Zahlung eines höheren Sollzinses (hier: 15,20 %) und Zahlung einer hohen Restkreditversicherung (hier: 2.851,65 EUR) zur Verfügung. Gleichzeitig trägt die Klägerin nichts dazu vor und es ist auch im Übrigen aus den Vertragsunterlagen nichts dazu ersichtlich, dass der Vertrag eine – rechtswirksame, AGB-konforme – Regelung dazu enthält, wonach die Ausreichung des Darlehens trotz der mangelnden Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers infolge des Unterlassens der gesetzlich gebotenen Kreditwürdigkeitsprüfung, die die Vollständigkeit der vom Darlehensnehmer gemachten Angaben und deren Glaubhaftmachung erfordert, erfolgt. Bei dieser Sachlage kann eine Besonderheit im Rahmen der Feststellung des auffälligen Missverhältnisses beim Vergleich von Vertragszins und Marktzins nicht angenommen werden.

 

30

Den vorstehenden rechtlichen Überlegungen steht auch die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung nicht entgegen:

 

31

So hat der Bundesgerichtshof bereits vor mehr als 30 Jahren entschieden, dass ein mit 21,6 % verzinstes Gelegenheitsdarlehen, das ein nicht gewerbsmäßig handelnder Darlehensgeber ausgereicht hatte, nicht wegen Wuchers sittenwidrig ist (vgl. BGH, Urteil vom 19.06.1990 – XI ZR 280/89). Diesem Fall lag also – anders als hier – weder ein zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht gesetzlich geregeltes Verbraucherdarlehen (§ 491 Abs. 2 S. 1 BGB) zu Grunde, noch bestand seinerzeit die gesetzliche Verpflichtung zur Prüfung der Kreditwürdigkeit eines Darlehensnehmers (§ 505 a BGB).

 

32

Soweit das Landgericht München I (Urteil vom 07.11.2019 – 27 O 10720/19, Anlage K3) entschieden hat, dass das erhöhte Rückzahlungsrisiko auf Seiten des beklagten Kunden als Besonderheit bei der Feststellung des Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung zu berücksichtigen sei, lässt das Gericht eine Auseinandersetzung mit den infolge der Umsetzung der EU-Wohnimmobilien-Kreditrichtlinie erfolgten Gesetzesänderungen (§§ 505 a ff. BGB) vermissen. Denn aufgrund der am 22.07.2017 eingeführten, für Banken verpflichtenden Kreditwürdigkeitsprüfung, nach welcher beim Darlehensgeber eines Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrages keine erheblichen Zweifel an der Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers verbleiben dürfen (§ 505 a Abs. 1 S. 2 BGB), ist nach der gesetzgeberischen Konzeption die Vereinbarung eines erhöhten Zinssatzes wegen der fehlenden Kreditwürdigkeit eines Kunden grundsätzlich nicht vorgesehen.

 

33

Es kann also auch nicht – wie dies das LG Landshut (Hinweisbeschluss vom 25.04.2014 – 23 O 3611/13) angenommen hat – als Referenzmaßstab der Zinssatz für Kontoüberziehungen (im Bereich von 15 % bis 16 %) herangezogen werden.

 

34

Diese Maßstäbe zugrunde gelegt liegt ein auffälliges Missverhältnis zwischen dem vereinbarten effektiven Jahreszinssatz und dem marktüblichen Effektivzins vor. Der effektive Jahreszins beträgt vorliegend 18,4 %, während der Marktzins nach der EWU-Zinsstatistik für Konsumentenkredite mit einer Laufzeit von bis zu 5 Jahren (SUD 114) zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (November 2017) 4,31 % betrug. Innerhalb der Zinsstatistik ist die Zinsreihe SUD 114 heranzuziehen gewesen, da diese die Zinssätze von Konsumentenkrediten an private Haushalte mit einer anfänglichen Zinsbindung über 1 bis 5 Jahre betrifft.

 

35

Selbst wenn man – wie in der Rechtsliteratur teilweise vertreten (vgl. Palandt-Ellenberger, BGB, 82. Auflage, § 138, Rn. 26) – den Wert der Zinsstatistik noch geringfügig beaufschlagen müsste, weil es noch keinen europaweiten Konsumentenkreditmarkt gibt, wäre immer noch eine eindeutige Überhöhung der Verzinsung festzustellen. Sogar dann, wenn man – was keiner Entscheidung bedarf – aufgrund der zwischenzeitlichen Niedrigzinsphase eine Überschreitung des marktüblichen Zinses um 110 % noch hinnehmen würde (vgl. BGH, Urteil vom 11.12.1990 – XI ZR 69/90, NJW 1991, 834), läge dennoch ein auffälliges Missverhältnis vor.

 

36

Aufgrund des auffälligen Missverhältnisses zwischen dem vereinbarten effektiven Jahreszinssatz und dem marktüblichen Vergleichszinssatz wird vermutet, dass die Bank auch in subjektiver Hinsicht vorsätzlich oder grob fahrlässig die schwächere Lage des Beklagten ausgenutzt hat (vgl. LG Saarbrücken, Urteil vom 18.09.2020 – 1 O 79/20, Rn. 29). Umstände, die geeignet sind, diese Vermutung zu widerlegen, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Der Einwand der Klägerin, der Beklagte habe auf dem Marktplatz von „D…“ durch Einstellung eines Kreditgesuches selbst einen Vorschlag über die konkreten Konditionen des Darlehens unterbreitet, weswegen eine Sittenwidrigkeit nicht angenommen werden könne, erschüttert die vorgenommene rechtliche Würdigung der Kammer aus den vorstehend ausgeführten Gründen nicht.

 

37

Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Bundestagsabgeordneten (BT-Drs. 18/2391 vom 22.08.2014, Seite 12) zur Überschuldung privater Haushalte und Kreditvergabe in Deutschland – die unter anderem auch explizit auf „D…“ Bezug nimmt – hervorgeht, soll die Zinsbindung im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen – insbesondere unter Berücksichtigung von § 138 BGB (Wucherverbot) – dem Markt überlassen bleiben. Im Umkehrschluss können für Darlehensverträge, die über den Marktplatz von „D…“ zustande gekommen sind, keine anderen Maßstäbe als für sonstige bankübliche Verbraucherdarlehensverträge gelten. Ob ein Verbraucherdarlehensvertrag direkt mit einer Bank oder unter Zuhilfenahme eines Marktplatzes abgeschlossen wird, ist damit für die Bewertung der Sittenwidrigkeit des konkreten Kreditverhältnisses irrelevant.

 

38

Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO; diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 709 S. 1 und S. 2 ZPO.

Beschluss

 

39

Der Streitwert wird auf 11.548,47 EUR festgesetzt.