Welche Verträge kann ich 2023 noch widerrufen?

(zuletzt bearbeitet am 15.05.2023)

Bei vielen Darlehensverträgen gilt das sog. ewige Widerrufsrecht. Ob Ihr Vertrag noch widerruflich ist, können Sie der nachstehenden Übersicht entnehmen:


Diese Verbraucherdarlehensverträge sind auch im Jahr 2023 noch widerrufbar:

  • Viele alle Autokredite (Autofinanzierungen und Autoleasingverträge) und sonstige Konsumkredite, die nach dem 21.03.2016 geschlossen wurden, können aufgrund einer wichtigen Entscheidung des EuGH vom 09.09.2021 heute noch widerrufen werden. Hier gilt uneingeschränkt das sog. ewige Widerrufsrecht.
  • Immobilienkredite, die nach dem 21.03.2016 geschlossen wurden, sind nur noch innerhalb von 1 Jahr und 14 Tagen nach Vertragsschluss (§ 356b Abs. 2 S. 4 BGB) widerrufbar. Allerdings besteht bei diesen Verträgen häufig die Chance, sich ohne Vorfälligkeitsentschädigung zu lösen, wenn das finanzierte Objekt z.B. verkauft werden soll (nähere Informationen finden Sie unter "Vorfälligkeitsjoker"). 
  • Alle Verbraucherdarlehensverträge - also auch Immobilienkredite - die zwischen dem 30.07.2020 und dem 20.03.2016 geschlossen wurden, können heute noch widerrufen werden. Voraussetzung ist, dass die Widerrufsbelehrung ("Widerrufsinformation") fehlerhaft war. Dann gilt uneingeschränkt das sog. ewige Widerrufsrecht. Dies gilt auch für bereits vollständig zurückgeführte Darlehensverträge! Häufige Belehrungsfehler haben wir unter "Die 10 häufigsten Belehrungsmängel" zusammengestellt. 
  • Alle Verbraucherdarlehensverträge, die zwischen dem 02.11.2002 und dem 10.06.2010 geschlossen wurden, sind grundsätzlich widerruflich, soweit diese nicht grundpfandrechtlich gesichert sind (d.h. ohne Grundschuld oder Hypothek). Hierbei handelt es sich normalerweise um Autokredite oder klassische Konsumentenkredite. Für Verträge, die am 01.11.2002 oder früher geschlossen wurden, gilt gemäß Artikel 229 § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EGBGB das so genannte ewige Widerrufsrecht nicht.

  • Alle Verbraucherdarlehensverträge, die zwischen dem 02.11.2002 und dem 10.06.2010 geschlossen wurden, soweit sie überhaupt keine Widerrufsbelehrung enthielten.  

 

Nicht widerruflich sind in der Regel:

  • Grundpfandrechtlich gesicherte Verbraucherdarlehensverträge (sog. Immobiliendarlehensverträge), die zwischen dem 01.09.2002 und dem 10.06.2010 abgeschlossen wurden: Aufgrund einer im Februar 2016 vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Gesetzesänderung endete das "ewige Widerrufsrecht" bereits am 20.06.2016 um 24.00 Uhr. Diese Verträge sind in aller Regel nicht mehr widerruflich. Wichtig: Eine Ausnahme besteht jedoch für Verbraucherdarlehensverträge, die im Fernabsatz geschlossen wurden (vgl. Urteil des OLG Köln v. 17.09.2019, Aktenzeichen: 4 U 109/18, das vom BGH mit Beschluss vom 24.11.2020 gehalten wurde). 

  • In der Zeit vom 11.06.2010 bis 29.07.2010 gab es kein gesetzliches Muster, an dem sich Banken und Sparkassen bei der Formulierung ihrer Verträge orientieren konnten. Mit Beschluss vom 19.03.2019 (Aktenzeichen: XI ZR 44/18) hat der BGH nunmehr klargestellt, dass für Darlehensverträge, die zwischen dem 11.06.2010 und dem 29.07.2010 abgeschlossen worden waren, die Widerrufsfrist bereits 6 Monate nach Vertragsschluss  - und damit spätestens am 29.01.2011 - geendet hatte.


Keine Regel ohne Ausnahme:

 

Es gibt Umstände (wenn Ihr Vertrag zum Beispiel überhaupt keine Belehrung enthielt), die dazu führen, dass auch ältere Verbraucherdarlehensverträge noch heute widerruflich sind. Wenn Sie Zweifel haben, senden Sie uns Ihren Darlehensvertrag einfach zu. Wir werden Ihnen eine kostenfreie Einschätzung geben, ob Sie ihn noch heute widerrufen können.


"Widerrufsinformation" - "Widerrufsbelehrung":

 

Guter Anhaltspunkt für die Frage, ob Sie vom sog. "ewigen Widerrufsrecht" profitieren können ist, wenn die Widerrufsbelehrung in Ihrem Darlehensvertrag als

 

"Widerrufsinformation"

 

bezeichnet wird. In Verträgen, die bis zum 10.06.2010 abgeschlossen wurden - und damit potentiell heute nicht mehr widerrubar sind - wurde noch von "Widerrufsbelehrung" gesprochen. 


Die den Verbrauchern erteilte Widerrufsinformation sah häufig wie folgt aus:

 

Widerrufsinformation

 

Widerrufsrecht

Der Darlehensnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Telefax, E-Mail) widerrufen.

Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB (z. B. Angabe des effektiven Jahreszinses, Angaben zum einzuhaltenden Verfahren bei der Kündigung des Vertrages, Angabe der für den Darlehensgeber zuständigen Aufsichtsbehörde) erhalten hat.

Der Darlehensnehmer hat alle Pflichtangaben erhalten, wenn sie in der für den Darlehensnehmer bestimmten Ausfertigung seines Antrags oder in der für den Darlehensnehmer bestimmten Ausfertigung der Vertragsurkunde oder in einer für den Darlehensnehmer bestimmten Abschrift seines Antrags oder der Vertragsurkunde enthalten sind und dem Darlehensnehmer eine solche Unterlage zur Verfügung gestellt worden ist. Über in den Vertragstext nicht aufgenommene Pflichtangaben kann der Darlehensnehmer nachträglich in Textform informiert werden; die Widerrufsfrist beträgt dann einen Monat. Der Darlehensnehmer ist mit den nachgeholten Pflichtangaben nochmals auf den Beginn der Widerrufsfrist hinzuweisen.

 

Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu richten an:

 

[…]

 

Widerrufsfolgen

Der Darlehensnehmer hat innerhalb von 30 Tagen das Darlehen, soweit es bereits ausbezahlt wurde, zurückzuzahlen und für den Zeitraum zwischen der Auszahlung und der Rückzahlung des Darlehens den vereinbarten Sollzins zu entrichten. Die Frist beginnt mit der Absendung der Widerrufserklärung. Für den Zeitraum zwischen Auszahlung und Rückzahlung ist bei vollständiger Inanspruchnahme des Darlehens pro Tag ein Zinsbetrag in Höhe von

 

XX,xx Euro

 

zu zahlen. Dieser Betrag verringert sich entsprechend, wenn das Darlehen nur teilweise in Anspruch genommen wurde. Wenn der Darlehensnehmer nachweist, dass der Wert seines Gebrauchsvorteils niedriger war als der Vertragszins, muss er nur den niedrigeren Betrag zahlen. Dies kann z.B. in Betracht kommen, wenn der marktübliche Zins geringer war als der Vertragszins. Der Darlehensnehmer hat dem Darlehensgeber auch die Aufwendungen zu ersetzen, die der Darlehensgeber gegenüber öffentlichen Stellen erbracht hat und nicht zurückverlangen kann.


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Aktuelles:

BGH: Kosten-Klausel in Riester-Verträge der Sparkasse ist unwirksam

Der Bundesgerichtshof hat am 21.11.2023 eine Klausel in den Riester-Altersvorsorgeverträgen mit der Bezeichnung "S VorsorgePlus Altersvorsorgevertrag nach dem Altersvermögensgesetz (Sparkonto mit Zinsansammlung)" unwirksam ist (BGH XI ZR 290/22). Diese Klausel lautete

Die beklagte Sparkasse Günzburg-Krumbach verwendet in ihren Sonderbedingungen folgende Klausel:  "Im Falle der Vereinbarung einer Leibrente werden dem Sparer ggfs. Abschluss- und/oder Vermittlungskosten belastet." Diese hält der BGH für unklar und unverständlich.

Betroffen sind zahlreiche Riester-Verträge von Sparkassen aus dem ganzen Bundesgebiet. Vom BGH noch nicht entschieden wurde, ob auch Riester-Verträge der VR-Banken (die Verträge heißen meistens VR-RentePlus) unwirksam sind. 

 

Zur Begründung hat der Bundesgerichtshof im Wesentlichen ausgeführt:

 

Die Klausel stellt eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB dar und nicht lediglich einen unverbindlichen Hinweis. Denn der durchschnittliche Sparer versteht die Klausel dahin, dass sie der Beklagten das Recht einräumen soll, von ihm im Fall der Vereinbarung einer Leibrente Abschluss- und/oder Vermittlungskosten zu verlangen. Die fehlende Benennung von Voraussetzungen, von denen die Erhebung von Abschluss- und/oder Vermittlungskosten durch die Beklagte abhängen soll, sowie die fehlende Bestimmung der Höhe der Kosten stellen den Regelungsgehalt der Klausel nicht in Frage. Die Bezeichnung des Klauselwerks, in dem die Klausel enthalten ist, als Sonderbedingungen spricht ebenfalls dafür, dass die Klausel den Vertragsinhalt regelt.

 

Die Klausel ist nicht klar und verständlich im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und benachteiligt dadurch die Vertragspartner der Beklagten unangemessen. Diese können die mit der Klausel für sie verbundenen wirtschaftlichen Folgen nicht absehen. Die Klausel lässt nicht erkennen, ob die Beklagte im Fall der Vereinbarung einer Leibrente tatsächlich Abschluss- und/oder Vermittlungskosten vom Verbraucher beansprucht. Voraussetzungen, die maßgebend dafür sein sollen, dass Abschluss- und/oder Vermittlungskosten dem Grunde nach anfallen, werden dem Verbraucher weder in der Klausel noch an anderer Stelle mitgeteilt. Außerdem erfährt der Verbraucher nicht, in welcher Höhe er gegebenenfalls mit Abschluss- und/oder Vermittlungskosten belastet wird. Die Klausel benennt für die Abschluss- und Vermittlungskosten weder einen absoluten Betrag noch einen Prozentsatz, der sich auf ein bestimmtes Kapital bezieht. Sie lässt den Verbraucher auch im Unklaren darüber, ob die Kosten einmalig, monatlich oder jährlich anfallen sollen. Danach kann der Verbraucher die Größenordnung der Abschluss- und Vermittlungskosten nicht absehen, mit denen er bei Vereinbarung einer Leibrente von der Beklagten belastet werden soll. Der Beklagten wäre die gebotene Eingrenzung der Kosten der Höhe nach möglich gewesen. 

 

Der BGH bestätigte damit die Urteile des Landgericht München I vom 15. März 2021 (Aktenzeichen: 27 O 230/20) und des Oberlandesgerichts München vom 20. Oktober 2022 (Aktenzeichen: 29 U 2022/21).

 

Die Kanzlei Stenz & Rogoz empfiehlt Sparkassen-Kunden, ihre Verträge bereits vor Beginn der Rente zu überprüfen. Kreditinstitute dürfen bei Riester-Verträgen nur Kosten verlangen, auf die sie im ursprünglichen Sparvertrag konkret hingewiesen haben. Senden Sie der Sparkasse am besten folgendes Schreiben - dies ist auch per E-Mail möglich: 

 

"Sehr geehrte Damen und Herren,

 

In meinem Altersvorsorgevertrag Nr. XXX ist folgende Klausel enthalten:

 

„Im Falle der Vereinbarung einer Leibrente werden dem Sparer ggfs. Abschluss- und/oder Vermittlungskosten belastet.“

 

Der BGH hat - wie Ihnen bekannt sein dürfte - diese Klausel mit Urteil vom 21.11.2023, Az. XI ZR 290/22) als unwirksam angesehen.

 

Ich fordere Sie daher auf, die dem Altersvorsorgevertrag aus der Klausel belasteten Kosten dem zu verrentenden Guthaben wieder zuzuführen mit der Folge, meine Rente entsprechend rückwirkend zu erhöhen. 

 

Ich fordere Sie ferner auf, mir bis XX.XX.2023 (2 Wochen-Frist) ein neues Angebot zur Gestaltung der Auszahlungsphase vorzulegen. Ich weise Sie darauf hin, dass vorvertraglich in meinem ursprünglich mit Ihnen abgeschlossenen Altersvorsorgevertrag nicht offengelegte Kosten gemäß AltZertG von mir nicht geschuldet sind."

 

Sollten Sie keine positive Reaktion Ihrer Sparkasse erhalten, können Sie sich gerne an uns wenden. Wir geben Ihnen innerhalb von nur 48 Stunden eine kostenfreie Ersteinschätzung zum weiteren Vorgehen.

18,4 % Zinsen können Wucher sein

Ein Darlehensvertrag mit einem Nominalzinssatz von 15,20 % und einem Effektivzinssatz von 18,40 % ist nach Ansicht des Landgerichts Erfurt (Urteil vom 15.05.2023, Aktenzeichen: 9 O 101/23) wegen Wucher sittenwidrig und nichtig, wenn es einem Darlehensnehmer ausbezahlt wird, der nur 2.000,00 € pro Monat verdient. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung insbesondere einen Vergleich zwischen dem Zins und der EWU-Zinsstatistik für Konsumentenkredite mit einer Laufzeit von bis zu 5 Jahren (SUD 114) zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses herangezogen. Weicht dieser um 100 % ab, ist von Sittenwidrigkeit auszugehen.

 

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

1

Die Klägerin macht gegenüber dem Beklagten eine abgetretene Forderung aus einem Verbraucherkredit geltend.

 

2

Am 05.11.2017 schloss die C… GmbH mit dem Beklagten einen Darlehensvertrag über einen Kredit von netto 10.548,35 EUR mit einem Nominalzinssatz von 15,20 % p.a. (Anlage K1). Der effektive Jahreszins betrug 18,40 %. Einschließlich Zinsen und Kosten belief sich der Gesamtkredit auf 19.339,80 EUR und war mit 60 Monatsraten von je 322,33 EUR zurückzuzahlen. Die Beantragung des Kredits erfolgte durch den Beklagten online über den Marktplatz von „D…“.

 

3

Im Rahmen der Beantragung eines Kredites auf dem Marktplatz von „D…“ gab der Beklagte seine persönlichen Daten beim Marktplatz von „D…“ in die hierfür vorgesehene Antragsmaske ein. Laut der eingegebenen Daten ist der Beklagte ledig, bezieht als Arbeiter einen Nettolohn von monatlich 2.000,00 EUR und zahlt eine monatliche Miete von 700,00 EUR. Den eigentlichen Vertrag unterzeichnete der Beklagte mittels qualifizierter elektronischer Signatur. Dabei übermittelte der Beklagte sein Ausweisdokument via Internet im Rahmen eines sog. Video-Ident-Verfahrens, einem VideoChat in Echtzeit. Im Anschluss an die Identifizierung wurde dem Beklagten ein Ident-Code an dessen Mobilfunknummer gesandt. Dieser Code wurde vom Beklagten zum Abschluss in die Antragsmaske eingegeben. Die Klägerin nahm den Darlehensantrag an und zahlte das Darlehen wie vereinbart an den Beklagten aus.

 

4

Der Beklagte hielt die Zahlungsvereinbarung nicht ein. Nachdem er mit zwei aufeinanderfolgenden Monatsraten und 5 % des Nennbetrages des Kredits in Verzug geraten war, teilte die Bank dem Beklagten den Rückstand mit und mahnte ihn zur Zahlung binnen zwei Wochen auf. Gleichzeitig kündigte die Bank für den Fall der Nichtzahlung die Fälligstellung der gesamten Restschuld an. Nachdem der Beklagte den Rückstand nicht bezahlte, wurde der Darlehensvertrag nach Fristablauf mit Schreiben vom 18.09.2018 (Anlage K2) gekündigt und der offene Saldo zur sofortigen Zahlung fällig gestellt, wobei die Bank die nicht verbrauchten Kreditzinsen und laufzeitabhängigen Kosten errechnete und gutschrieb. Gleichzeitig wurde der Beklagte zur Zahlung der noch offenen Kreditforderung in Höhe von 11.548,47 EUR aufgefordert.

 

5

Nachdem der Beklagte daraufhin keine weiteren Zahlungen leistete, hat die Klägerin die E… GmbH mit der Einziehung der Forderung beauftragt. Für die … tätigkeit wurde eine Vergütung in Höhe von 805,20 EUR berechnet.

 

6

Die Klägerin ist der Meinung, dass der Darlehensvertrag wirksam und insbesondere nicht wegen einer sittenwidriger Überhöhung der vereinbarten Verzinsung nichtig sei.

 

7

Eine Gesamtwürdigung aller Umstände führe vorliegend nicht dazu, dass ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestehe. Die streitgegenständliche Finanzierung weise die Besonderheit auf, dass Kreditsuchende auf dem Marktplatz von „D…“ Kreditgesuche einstellen könnten, dabei die konkreten Konditionen aus unterbreiteten Vorschlägen selbst aussuchten und damit diese selbst zum Gegenstand seines Kreditgesuchs machten.

 

8

Das Landgericht München I (Urteil vom 07.11.2019 – 27 O 10720/19, Anlage K3) habe in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden, dass sich die der Statistik der Deutschen Bundesbank zu entnehmenden Zinssätze auf Darlehen für Schuldner bezögen, die von den Banken als kreditwürdig eingeschätzt worden seien. Übernehme eine Bank hingegen ein Kreditrisiko, welches andere Banken mangels Kreditwürdigkeit des Kunden überhaupt nicht mehr übernehmen wollten, so sei dieses besondere Rückzahlungsrisiko bei der Feststellung eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung zu berücksichtigen. Bei Finanzierungen der vorliegenden Art sei der Zinssatz für geduldete Überziehungen des Dispositionskredits als Vergleichszinssatz heranzuziehen, der sich üblicherweise im Bereich von 15 % bis 16 % bewege.

 

9

Die Klägerin beantragt:

 

Der Beklagte wird aus Verbraucherkreditvertrag verurteilt, an die Klägerin 11.548,47 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 19.10.2019 sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 805,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

 

10

Die Klage wurde dem Beklagten am 09.03.2023 zugestellt. Eine Klageerwiderung erfolgte nicht.

 

11

Mit gerichtlicher Verfügung vom 31.03.2023 hat das Landgericht Erfurt der Klägerin den Hinweis erteilt, dass nach Auffassung der Kammer der Darlehensvertrag wegen sittenwidriger Überhöhung des vereinbarten Zinses nichtig sei, weil der vereinbarte effektive Jahreszins (18,40 %) in einem auffälligen Missverhältnis zu dem Marktzins stehe, der nach der EWU-Zinsstatistik für Konsumentenkredite mit einer Laufzeit von bis zu 5 Jahren (SUD 114) zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (November 2017) nur 4,31 % betragen habe.

 

12

Die Klägerin hat auf den Hinweis des Landgerichts Erfurt reagiert und mitgeteilt, dass sie an der Rechtsauffassung festhalte, wonach der Vertrag nicht sittenwidrig sei.

 

Die zulässige Klage der Bank ist nach Ansicht des Landgerichts unbegründet:

 

14

Die Klage war im schriftlichen Vorverfahren gemäß § 331 Abs. 2, 2. Hs. ZPO abzuweisen, weil das tatsächliche Vorbringen der Klägerin den mit dem Klageantrag verfolgten Anspruch nicht rechtfertigt. Die Klage ist unschlüssig. Der Vortrag der Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen der für den geltend gemachten Anspruch in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen.

 

15

Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Rückführung des Darlehens (§ 488 Abs. 1 S. 2 BGB) nicht zu, weil der Darlehensvertrag gemäß § 138 Abs. 2 BGB nichtig ist.

 

16

Ein Darlehensvertrag ist als wucherähnliches Geschäft nichtig, wenn zwischen den Leistungen des Darlehensgebers und den durch einseitige Vertragsgestaltung festgelegten Gegenleistungen des Darlehensnehmers ein auffälliges Missverhältnis besteht und der Darlehensgeber die wirtschaftlich schwächere Lage des Darlehensnehmers und dessen Unterlegenheit bei der Festlegung der Darlehensbedingungen bewusst zu seinem Vorteil ausnutzt. Dem steht es gleich, wenn sich der Darlehensgeber als objektiv sittenwidrig Handelnder zumindest leichtfertig der Einsicht verschließt, dass sich der Darlehensnehmer nur aufgrund seiner wirtschaftlich schwächeren Lage auf die ihn beschwerenden Darlehensbedingungen einlässt.

 

17

Inhalt und Zweck des Darlehensgeschäfts und der sonstigen Geschäftsumstände sind zusammenfassend zu würdigen. Für diese Gesamtwürdigung sind die vertraglich festgelegten Leistungen und Gegenleistungen sowie die sonstigen vertraglichen Regelungen – auch die der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Darlehensgebers, soweit diese wirksam sind – heranzuziehen. Besonderes Gewicht kommt dabei dem Verhältnis zwischen dem Darlehensentgelt, dem Zins, und der Hauptleistung des Darlehensgebers, der Übertragung der Kapitalnutzungsmöglichkeit auf Zeit, zu. (vgl. BGH, Urteil vom 12.03.1981 – III ZR 92/79, Rn. 22).

 

18

Für die Beurteilung ist insofern regelmäßig ein Wertvergleich zwischen den gezahlten Zinsen und den marktüblichen Zinsen vorzunehmen. Für den Wertvergleich kommt es entscheidend darauf an, welchen Preis ein Kreditnehmer für einen vergleichbaren Kredit bei der Mehrzahl der übrigen Anbieter hätte zahlen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 10.07.1986 – III ZR 133/85). Nachdem die Deutsche Bundesbank den Schwerpunktzins nicht mehr veröffentlicht, kann grundsätzlich die EWU-Zinsstatistik als Ausgangspunkt des Zinsvergleichs herangezogen werden, möglicherweise mit Zu- und Abschlägen, weil es noch keinen europaweiten Konsumentenkreditmarkt gibt (vgl. Palandt-Ellenberger, BGB, 82. Aufl., Rz. 26 zu § 138).

 

19

Ein auffälliges Missverhältnis ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Vertragszins den marktüblichen Effektivzins relativ um 100 % oder absolut um 12 Prozentpunkte übersteigt (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Urteil vom 13.03.1990 – XI ZR 252/89, Rn. 17). Ein solches auffälliges Missverhältnis ist vorliegend anzunehmen.

 

20

Bei der Feststellung des auffälligen Missverhältnisses und dem darauf beruhenden Zinsvergleich müssen grundsätzlich auch die Besonderheiten des konkreten Einzelfalls berücksichtigt werden, sofern solche festgestellt werden können.

 

21

In diesem Zusammenhang weist die Klägerin darauf hin, dass die streitgegenständliche Finanzierung die Besonderheit aufweise, dass Kreditsuchende auf dem Marktplatz von „D…“ Kreditgesuche einstellen könnten, dabei selbst die konkreten Konditionen aus unterbreiteten Vorschlägen selbst aussuchten und somit diese selbst zum Gegenstand seines Kreditgesuchs machten. Der Beklagte habe den vorliegenden Kredit insoweit gerade nicht bei einer Bank aufgenommen, die ihm angesichts seiner Bonität vermutlich auch gar kein Darlehen gewährt hätte. Stattdessen habe sich der Beklagte für eine Finanzierung durch eine Vielzahl privater Einzelanleger über die „D…“-Plattform entschieden. Auch wenn der Kreditvertrag mit der C… Bank geschlossen worden sei, hätten nicht Banken investiert. Der Darlehensbetrag stamme von privaten Anlegern. Dies habe der Beklagte auch gewusst, als er die Website von „D…“ besucht habe.

 

22

Die Klägerin nimmt im Rahmen ihren Ausführungen Bezug auf Rechtsprechung des LG München I (Urteil vom 07.11.2019 – 27 O 10720/19, Anlage K3), wonach das besondere Rückzahlungsrisiko, welches bestehe, wenn ein Kunde bei einem normalen Kreditinstitut mangels Kreditwürdigkeit keinen Ratenkredit (mehr) erhalten hätte, bei der Feststellung des auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung nicht unberücksichtigt bleiben könne. Es sei daher der Zinssatz für geduldete Überziehungen des Dispositionskredits als Vergleichszinssatz heranzuziehen, der sich üblicherweise im Bereich 15 % bis 16 % bewege (so auch LG Landshut, Hinweisbeschluss vom 25.04.2014 – 23 O 3611/13). Selbst der Bundesgerichtshof habe in einem Fall, in welchem ein Privatkredit mit einem Zinssatz von 24 % vergeben worden sei, kein grobes Missverhältnis angenommen, weil sich die der Bundesbankstatistik zu entnehmenden Zinssätze auf Darlehen an Schuldner bezögen, die von den Banken als kreditwürdig eingeschätzt worden seien.

 

23

Der Auffassung der Klägerin kann nicht gefolgt werden. Vorliegend stellen sich weder das Finanzierungskonzept das Marktplatzes „D…“, noch die fehlende Kreditwürdigkeit des Beklagten als eine Besonderheit dar, die es rechtfertigen würden, von der EWU-Zinsstatistik als Vergleichsmaßstab des Marktzinses gegenüber dem effektiven Jahreszins abzuweichen. Denn maßgeblich ist, dass nur solche Besonderheiten des Einzelfalls einer Kreditvergabe bei der Feststellung eines auffälligen Missverhältnisses berücksichtigt werden, die auch gesetzeskonform sind.

 

24

Am 05.11.2017 ist zwischen der C… GmbH und dem Beklagten ein Verbraucherdarlehensvertrag (§ 491 Abs. 2 S. 1 BGB) geschlossen worden. Dabei ist es für die Beurteilung, ob der Vertrag sittenwidrig ist, unerheblich, ob die Darlehensvaluta von privaten Investoren aufgebracht wurde, denn als Darlehensgeberin durfte die C… den Verbraucherdarlehensvertrag mit dem Beklagten gemäß § 505 a Abs. 1 S. 2 BGB (gültig seit dem 22.07.2017) nur abschließen, wenn aus der Kreditwürdigkeitsprüfung, die die Bank durchführen muss, hervorgeht, dass bei dem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag keine erheblichen Zweifel daran bestehen, dass der Darlehensnehmer seinen Verpflichtungen, die im Zusammenhang mit dem Darlehensvertrag stehen, vertragsgemäß nachkommen kann.

 

25

Die Vorschrift des § 505 a Abs. 1 S. 2 BGB beinhaltet zwar kein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB. Auch sind die Rechtsfolgen bei Verletzung der Prüfungspflicht durch den Darlehensgeber in § 505 d BGB geregelt. Allerdings führt die gesetzliche Verpflichtung einer sorgfältigen Kreditwürdigkeitsprüfung dazu, dass es bei Zugrundelegung der Kreditvergaberichtlinien von normalen Banken grundsätzlich kein erhöhtes Rückzahlungsrisiko geben kann, welches bei der Feststellung des Verhältnisses zwischen Marktzins und Vertragszins zusätzlich zu berücksichtigen wäre. Anders wäre dies nur dann zu beurteilen, wenn die Vertragsparteien die mangelnde Kreditwürdigkeit es Darlehensnehmers und somit ein Unterlassen der gesetzlich vorgeschriebenen, fundierten Prüfung der Bank, rechtswirksam zur Geschäftsgrundlage des Vertrages gemacht hätten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine solche Vertragsklausel in Form von Allgemeinen Geschäftsbedingungen – wie regelmäßig bei Vertragskonditionen von Krediten, die im Internet geschlossen werden – wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB im Zweifel unwirksam ist, weil sie mit dem wesentlichen Grundgedanken des § 505 a Abs. 1 S. 2 BGB (Kreditwürdigkeitsprüfung), von der abgewichen werden soll, nicht zu vereinbaren ist.

 

26

Die §§ 505 a ff. BGB gehen damit von einem gewandelten Verständnis der Kreditwürdigkeitsprüfung aus. Sie wird nicht mehr nur als eine dem Selbstschutz des Darlehensgebers bzw. dem öffentlichen (Solvabilitäts-)Interesse dienende, sondern auch als eine individualschützende zugunsten des Verbrauchers wirkende Pflicht, angesehen (BT-Drs 18/5922 vom 07.09.2015, S. 96). In der Sache verbirgt sich dahinter das Bestreben des Gesetzgebers, die Vergabe von Krediten an Personen mit unzureichendem finanziellen Leistungsvermögen möglichst zu unterbinden. Es handelt es sich um die gesetzliche Ausprägung des Prinzips der verantwortlichen Kreditvergabe (Nietsch, in: Ermann, BGB, 16. Auflage, § 505 a BGB, Rn. 2).

 

27

Die Klägerin räumt in diesem Zusammenhang selbst ein, dass der Beklagte, wenn er den Kredit bei einer (anderen) Bank aufgenommen hätte, angesichts seiner Bonität vermutlich gar kein Darlehen bekommen hätte. Dies beruht darauf, dass die C… gerade keine Kreditwürdigkeitsprüfung durchführt, die den Kreditvergaberichtlinien von Banken entspricht, weshalb oftmals erhebliche Zweifel an der Kreditwürdigkeit eines Kunden i.S.v. § 505 a Abs. 1 S. 2 BGB verbleiben.

 

28

So sieht die Kreditwürdigkeitsprüfung des Marktplatzes „D…“ – welche für die erkennende Kammer aus dem Internet allgemeinkundig i.S.v. § 291 ZPO ist – beispielsweise vor, dass ein Kunde zur Glaubhaftmachung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse lediglich „optional“ seine Kontoauszüge der letzten 120 Tage zur Verfügung stellen kann (https://www….: „Möchtest Du zusätzlich Dein Konto verbinden? Das ist optional, Du kannst auch weiter machen ohne Dein Konto zu verbinden“). Stellt der Kunde die Kontoauszüge nicht zur Verfügung, erhält er lediglich nicht die „Vergünstigung“ eines „niedrigeren Zinssatzes“, die bei Vorlage von Kontoauszügen möglich gewesen wäre.

 

29

Die C… stellt also solchen Darlehensnehmern, deren Angaben zur Kreditwürdigkeit möglicherweise nicht vollständig sind und die sie auch nicht glaubhaft machen müssen, ein Darlehen nur gegen Zahlung eines höheren Sollzinses (hier: 15,20 %) und Zahlung einer hohen Restkreditversicherung (hier: 2.851,65 EUR) zur Verfügung. Gleichzeitig trägt die Klägerin nichts dazu vor und es ist auch im Übrigen aus den Vertragsunterlagen nichts dazu ersichtlich, dass der Vertrag eine – rechtswirksame, AGB-konforme – Regelung dazu enthält, wonach die Ausreichung des Darlehens trotz der mangelnden Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers infolge des Unterlassens der gesetzlich gebotenen Kreditwürdigkeitsprüfung, die die Vollständigkeit der vom Darlehensnehmer gemachten Angaben und deren Glaubhaftmachung erfordert, erfolgt. Bei dieser Sachlage kann eine Besonderheit im Rahmen der Feststellung des auffälligen Missverhältnisses beim Vergleich von Vertragszins und Marktzins nicht angenommen werden.

 

30

Den vorstehenden rechtlichen Überlegungen steht auch die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung nicht entgegen:

 

31

So hat der Bundesgerichtshof bereits vor mehr als 30 Jahren entschieden, dass ein mit 21,6 % verzinstes Gelegenheitsdarlehen, das ein nicht gewerbsmäßig handelnder Darlehensgeber ausgereicht hatte, nicht wegen Wuchers sittenwidrig ist (vgl. BGH, Urteil vom 19.06.1990 – XI ZR 280/89). Diesem Fall lag also – anders als hier – weder ein zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht gesetzlich geregeltes Verbraucherdarlehen (§ 491 Abs. 2 S. 1 BGB) zu Grunde, noch bestand seinerzeit die gesetzliche Verpflichtung zur Prüfung der Kreditwürdigkeit eines Darlehensnehmers (§ 505 a BGB).

 

32

Soweit das Landgericht München I (Urteil vom 07.11.2019 – 27 O 10720/19, Anlage K3) entschieden hat, dass das erhöhte Rückzahlungsrisiko auf Seiten des beklagten Kunden als Besonderheit bei der Feststellung des Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung zu berücksichtigen sei, lässt das Gericht eine Auseinandersetzung mit den infolge der Umsetzung der EU-Wohnimmobilien-Kreditrichtlinie erfolgten Gesetzesänderungen (§§ 505 a ff. BGB) vermissen. Denn aufgrund der am 22.07.2017 eingeführten, für Banken verpflichtenden Kreditwürdigkeitsprüfung, nach welcher beim Darlehensgeber eines Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrages keine erheblichen Zweifel an der Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers verbleiben dürfen (§ 505 a Abs. 1 S. 2 BGB), ist nach der gesetzgeberischen Konzeption die Vereinbarung eines erhöhten Zinssatzes wegen der fehlenden Kreditwürdigkeit eines Kunden grundsätzlich nicht vorgesehen.

 

33

Es kann also auch nicht – wie dies das LG Landshut (Hinweisbeschluss vom 25.04.2014 – 23 O 3611/13) angenommen hat – als Referenzmaßstab der Zinssatz für Kontoüberziehungen (im Bereich von 15 % bis 16 %) herangezogen werden.

 

34

Diese Maßstäbe zugrunde gelegt liegt ein auffälliges Missverhältnis zwischen dem vereinbarten effektiven Jahreszinssatz und dem marktüblichen Effektivzins vor. Der effektive Jahreszins beträgt vorliegend 18,4 %, während der Marktzins nach der EWU-Zinsstatistik für Konsumentenkredite mit einer Laufzeit von bis zu 5 Jahren (SUD 114) zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (November 2017) 4,31 % betrug. Innerhalb der Zinsstatistik ist die Zinsreihe SUD 114 heranzuziehen gewesen, da diese die Zinssätze von Konsumentenkrediten an private Haushalte mit einer anfänglichen Zinsbindung über 1 bis 5 Jahre betrifft.

 

35

Selbst wenn man – wie in der Rechtsliteratur teilweise vertreten (vgl. Palandt-Ellenberger, BGB, 82. Auflage, § 138, Rn. 26) – den Wert der Zinsstatistik noch geringfügig beaufschlagen müsste, weil es noch keinen europaweiten Konsumentenkreditmarkt gibt, wäre immer noch eine eindeutige Überhöhung der Verzinsung festzustellen. Sogar dann, wenn man – was keiner Entscheidung bedarf – aufgrund der zwischenzeitlichen Niedrigzinsphase eine Überschreitung des marktüblichen Zinses um 110 % noch hinnehmen würde (vgl. BGH, Urteil vom 11.12.1990 – XI ZR 69/90, NJW 1991, 834), läge dennoch ein auffälliges Missverhältnis vor.

 

36

Aufgrund des auffälligen Missverhältnisses zwischen dem vereinbarten effektiven Jahreszinssatz und dem marktüblichen Vergleichszinssatz wird vermutet, dass die Bank auch in subjektiver Hinsicht vorsätzlich oder grob fahrlässig die schwächere Lage des Beklagten ausgenutzt hat (vgl. LG Saarbrücken, Urteil vom 18.09.2020 – 1 O 79/20, Rn. 29). Umstände, die geeignet sind, diese Vermutung zu widerlegen, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Der Einwand der Klägerin, der Beklagte habe auf dem Marktplatz von „D…“ durch Einstellung eines Kreditgesuches selbst einen Vorschlag über die konkreten Konditionen des Darlehens unterbreitet, weswegen eine Sittenwidrigkeit nicht angenommen werden könne, erschüttert die vorgenommene rechtliche Würdigung der Kammer aus den vorstehend ausgeführten Gründen nicht.

 

37

Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Bundestagsabgeordneten (BT-Drs. 18/2391 vom 22.08.2014, Seite 12) zur Überschuldung privater Haushalte und Kreditvergabe in Deutschland – die unter anderem auch explizit auf „D…“ Bezug nimmt – hervorgeht, soll die Zinsbindung im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen – insbesondere unter Berücksichtigung von § 138 BGB (Wucherverbot) – dem Markt überlassen bleiben. Im Umkehrschluss können für Darlehensverträge, die über den Marktplatz von „D…“ zustande gekommen sind, keine anderen Maßstäbe als für sonstige bankübliche Verbraucherdarlehensverträge gelten. Ob ein Verbraucherdarlehensvertrag direkt mit einer Bank oder unter Zuhilfenahme eines Marktplatzes abgeschlossen wird, ist damit für die Bewertung der Sittenwidrigkeit des konkreten Kreditverhältnisses irrelevant.

 

38

Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO; diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 709 S. 1 und S. 2 ZPO.

Beschluss

 

39

Der Streitwert wird auf 11.548,47 EUR festgesetzt.

EuGH-Vorlage zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung bei Immobiliardarlehen

Das Landgericht Ravensburg in einem Verfahren VR Bank Ravensburg-Weingarten eG hat mit nunmehr veröffentlichtem Beschluss vom 8.8.2022 (Aktenzeichen: 2 O 316/21) dem Europäischen Gerichtshof wichtige Fragen im Zusammenhang mit der Berechnung der sog. Vorfälligkeitsentschädigung vorgelegt. Unter anderem fragt das Landgericht, ob der Begriff der „angemessenen und objektiven Entschädigung für die möglicherweise entstandenen, unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits zusammenhängenden Kosten“ in Art. 25 Abs. 3 RL 2014/17/EU1 dahingehend auszulegen, dass die Entschädigung auch den entgangenen Gewinn des Kreditgebers, insbesondere die ihm infolge der vorzeitigen Rückzahlung entgehenden zukünftigen Zinszahlungen erfasst. Sodann fragt das Landgericht, ob das Unionsrecht und speziell Art. 25 Abs. 3 RL 2014/17/EU Vorgaben für die Berechnung der bei dem entgangenen Gewinn zu berücksichtigenden Einnahmen des Kreditgebers aus der Wiederanlage eines vorzeitig zurückgezahlten Immobiliar-Verbraucherkredits enthält, und gegebenenfalls welche.

 

Schließlich stellt es die folgenden Fragen:

a)    Hat die nationale Regelung für die Berechnung daran anzuknüpfen, in welcher Art der Kreditgeber den vorzeitig zurückgezahlten Betrag tatsächlich verwendet?

b)    Darf eine nationale Regelung es dem Kreditgeber gestatten, die Entschädigung für die vorzeitige Rückzahlung anhand einer fiktiven Wiederanlage in sicheren Kapitalmarkttiteln mit kongruenter Laufzeit zu berechnen (sog. Aktiv-Passiv-Methode)?

 

Fällt in den Anwendungsbereich des Art. 25 RL 2014/17 auch der Fall, dass der Verbraucher einen Immobiliar-Verbraucherkreditvertrag zunächst aufgrund eines vom nationalen Gesetzgeber vorgesehenen Kündigungsrechts kündigt, bevor er den Kredit vorzeitig an den Kreditgeber zurückzahlt?

Das Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg wurde am 10. August 2022 beim EuGH eingereicht und läuft dort unter dem Zeichen: "MW, CY gegen VR Bank Ravensburg-Weingarten eG"  (Rechtssache C-536/22). Der Fortgang des Rechtsstreits wird auf dieser Homepage berichtet. Die Entwicklung ist auch auf der Homepage des EU-Kommission nachzulesen. 

PSD Bank kann keine RA-Gebühren verlangen

Die PSD-Bank kann von ihren Kunden, die den Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrages erklärt haben, keine Rechtsanwaltsgebühren verlangen, auch wenn sich der Widerruf später als unwirksam herausstellt. Die PSD-Bank hat Klage in der ersten Instanz vor dem Amtsgericht Schweinfurt verloren. In der zweiten Instanz wurde die Berufung nach Hinweis des Landgerichts Schweinfurt zurückgenommen.

 

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Hinweisbeschluss Landgericht Schweinfurt 36 S 39/22
36__39_22_Hinweisbeschluss_LG_Schweinfur
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Dem Rechtsstreit lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Unsere Mandanten (= Beklagte) schlossen mit der PSD Bank (= Klägerin) im Jahr 2013 einen Darlehensvertrag zur Finanzierung ihrer Immobilie. Mit Schreiben vom XX.09.2020 erklärten sie den Widerruf des Darlehensvertrags mit der Begründung, dass die anlässlich der Darlehensgewährung erteilte Widerrufsbelehrung fehlerhaft gewesen sei. Die Beklagten überwiesen den offenen Darlehensbetrag an die Klägerin. Die Klägerin überwies den Betrag zurück. Die Beklagten wurden klägerseits aufgefordert unter anderem zu erklären, dass der Widerruf nicht aufrechterhalten werde. Nach deren Weigerung beauftragte die PSD-Bank eine Rechtsanwaltskanzlei mit der Geltendmachung der Rechte der Klägerin. Diese forderten die Beklagten nochmals auf zu erklären, dass an dem Widerruf nicht festgehalten werde. Nach einigem Schriftverkehr wurde der Widerruf sodann am XX.03.2021 zurückgenommen. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren der Klägerseite wurden jedoch nicht beglichen.

 

Die Klägerin hat in der ersten Instanz vortragen lassen, dass sie die Rechtsanwaltsgebühren an ihre Prozessbevollmächtigten gezahlt habe. Sie hat die Ansicht vertreten lassen, dass sie jeweils eine wirksame Widerrufsbelehrung erteilt habe. Eine richtlinienkonforme Auslegung bei Immobiliardarlehensverträgen komme nicht in Betracht. Der Bundesgerichtshof habe mehrfach entschieden, dass der Verwender einer Widerrufsinformation, sofern er das gesetzliche Muster nutze, sich auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen könne. Die Klägerin sei berechtigt gewesen, die Beklagten aufzufordern, sich zu dem vermeintlichen Anspruch zu erklären. Dieser Aufforderung seien die Beklagten nicht nachgekommen. Damit hätten sich die Beklagten mit der Abgabe ihrer Erklärung in Verzug befunden. Die Beklagten hätten den Anspruch der Klägerin auf Abgabe der geforderten Erklärung am XX.03.2021 (Anlage K 12) ohne Einschränkung und ohne Vorbehalt anerkannt.

 

Die Klägerin hat beantragt die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.802,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 03.12.2020 zu zahlen.

 

Die Beklagten haben erstinstanzlich die Ansicht vertreten lassen, dass der erklärte Widerruf wirksam gewesen sei. Die Beklagten seien zudem von der Klägerin vor der Mandatierung ihrer Prozessbevollmächtigten nicht wirksam in Verzug gesetzt worden. Die Klägerin habe zu keinem Zeitpunkt Anspruch auf die im Schreiben vom XX.09.2020 verlangten Erklärungen gehabt. Ein Widerruf könne nicht zurückgenommen werden. Auch ein Verzicht für die Zukunft könne nach Erklärung des Widerrufs nicht abgegeben werden. Auch ein wie auch immer gearteter Anspruch der Klägerin auf eine schriftliche Bestätigung der Beklagten, sämtliche vertraglichen Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag vereinbarungsgemäß vollumfänglich zu erfüllen, bestehe nicht. Zur effektiven Rechtsverfolgung sei es im Übrigen nicht notwendig gewesen, die Kanzlei XXX zu mandatieren. Die Klägerin sei eine Bank, die über angestellte Juristen verfüge. Zudem sei der in Ansatz gebrachte Gegenstandswert bei Weitem überhöht. Anzusetzen gewesen sei allenfalls die Summe der bis zur Mandatierung der Kanzlei XXX unter Vorbehalt bezahlten Annuitäten, damit 1.550,00 €.

 

 

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gegen die Beklagten zu. Ein Schadensersatzanspruch komme vorliegend nicht unter Verzugsgesichtspunkten in Betracht, da es grundsätzlich keine Verpflichtung der Beklagten gegeben habe, eine richtige Rechtsauffassung dazu zu vertreten, ob ein Widerrufsrecht wirksam ausgeübt worden sei oder nicht. Mangels Bestehen einer Verpflichtung könne kein diesbezüglicher Verzug entstehen. Ein Ersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB ergebe sich erst dann, wenn die Vertragspartei ihre Rechtsposition nicht als plausibel habe ansehen dürfen. Ob im Rahmen von Verbraucherdarlehensverträgen Widerrufsrechte bestehen oder zugrunde liegende Widerrufsbelehrungen fehlerhaft sind oder nicht, sei in hohem Maße einzelfallabhängig. Vor diesem Hintergrund hätten die Beklagten ihre Rechtsauffassung grundsätzlich für plausibel halten dürfen. Sie hätten daher jedenfalls eine etwaige Pflichtverletzung nicht zu vertreten gehabt.-

 

Die Klägerin wendete sich gegen die Klageabweisung und verfolgt mit ihrer Berufung den erstinstanzlich gestellten Antrag weiter.

 

Die Beklagten seien entgegen der Auffassung des Amtsgerichts zur Zahlung des geltend gemachten Gebührenanspruchs aufgrund Schadensersatzes wegen Verzugs verpflichtet. Die Beklagten hätten nicht nur eine Rechtsmeinung vertreten, sondern vielmehr deutlich gemacht, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Erfüllung des Darlehensvertrags habe. Es gehe also um die Abgabe einer rechtsgestaltenden einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärung. Die Klägerin habe ein Recht auf Klärung des Vertragsverhältnisses gehabt. Darüber hinaus habe das Amtsgericht unberücksichtigt gelassen, dass die Beklagten den Anspruch der Klägerin durch letztendliche Abgabe der geforderten Erklärung ohne Einschränkung anerkannt hätten.

 

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VerfGH Rheinland-Pfalz: Das Ende der Verwirkungseinrede?

Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz hat mit viel beachtetem Beschluss vom 22.07.2022 (Aktenzeichen: VGH B 70/21) eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz vom 9. Februar 2022 (Aktenzeichen: 10 U 246/21) für gegenstandslos erklärt. Dort war ein Widerspruch gegen einen Versicherungsvertrag (letztinstanzlich) als rechtsmissbräuchlich angesehen, ohne dass die Frage dem Europäischen Gerichtshof im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV vorgelegt worden war. Dies sieht der Verfassungsgerichtshof  als ein Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter. Die Entscheidung hat Potenzial, sich auf die laxe Handhabung der Verwirkungs-/Rechtsmissbrauchseinrede in Darlehenswiderrufsfällen auszuwirken, hat der Verfassungsgerichtshof doch klargestellt:  "Vielmehr ist bei der Regelung der Modalitäten des Rücktrittsrechts die praktische Wirksamkeit der mit der Richtlinie verfolgten Zwecke zu wahren [...]" Dies gilt für Verbraucherdarlehensfälle im selben Umfange!

 

Die Entscheidung lautet im Volltext:

Leitsatz

1. Der EuGH ist gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verf RP. Kommt ein deutsches Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht nach, kann dem Rechtsschutzsuchenden des Ausgangsrechtsstreits der gesetzliche Richter entzogen sein.

2. Nicht jede Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht stellt zugleich einen Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter dar. Eine Verletzung von Verfassungsrecht liegt nur vor, wenn die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist.

3. Die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV wird unter anderem dann offensichtlich unhaltbar gehandhabt, wenn das letztinstanzliche Fachgericht das Vorliegen einer von vornherein eindeutigen oder zweifelsfrei geklärten Rechtslage ohne sachliche bzw. sachlich einleuchtende Begründung annimmt. Die Pflicht der Fachgerichte zur Begründung folgt aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verf RP bzw. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Da die unionalen Pflichten zur Vorlage bzw. Begründung der Nichtvorlage durch das Recht auf den gesetzlichen Richter verfassungsrechtlich abgesichert werden, hat das Fachgericht Gründe anzugeben, die dem Verfassungsgericht die ihm aus der Integrationsverantwortung der Landesverfassung und des Grundgesetzes obliegende Kontrolle der fachgerichtlichen Handhabung der Vorlagepflicht am Maßstab der Verfassung überhaupt erst ermöglichen. Das Fachgericht muss deshalb eine nachvollziehbare, vertretbare Begründung dafür geben, dass die maßgebliche Rechtsfrage durch den EuGH bereits entschieden oder die richtige Antwort auf diese Rechtsfrage derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt.

Tenor

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 2. November 2021 – 10 U 246/21 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz. Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Koblenz zurückverwiesen. Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 9. Februar 2022 – 10 U 246/21 – gegenstandslos.

Das Land Rheinland-Pfalz hat dem Beschwerdeführer die im Verfassungsbeschwerdeverfahren notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit der Bevollmächtigten des Beschwerdeführers wird auf 17.319,51 € festgesetzt.

Gründe

Randnummer

A.

Randnummer1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verpflichtung nationaler Gerichte zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union. Konkret stellte sich in dem zivilgerichtlichen Verfahren die Frage, ob es mit Unionsrecht vereinbar ist, wenn einem Versicherungsnehmer die Berufung auf ein auf Grundlage der Lebensversicherungsrichtlinien begründetes Widerspruchsrecht, über das er nicht ordnungsgemäß belehrt wurde, wegen Rechtsmissbrauchs verwehrt und ein solcher Rechtsmissbrauch auf Grundlage einer nationalen Rechtsvorschrift allein anhand objektiver Tatbestandsmerkmale ohne das Hinzutreten subjektiver Elemente bejaht wird.

I.

Randnummer2

1. Die im Dezember 2010 verstorbene Mutter des Beschwerdeführers schloss im März 2002 bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens, der X. Ltd. – Beklagte –, einen Lebensversicherungsvertrag ab. Sie wurde im Antragsformular darauf hingewiesen, dass sie dem Vertrag innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins, der Policenbedingungen und der Verbraucher-information widersprechen könne, wobei zur Wahrung der Frist ein rechtzeitiges Absenden der Widerspruchserklärung genüge. Im Dezember 2011 wies die Beklagte den Beschwerdeführer, der im April 2011 als Erbe in den Vertrag eingetreten war, auf das vereinbarte Vertragsende zum 18. März 2012 hin und stellte ihm seine Optionen dar. Dieser entschied sich für die Auszahlung des Ablaufbetrags in Höhe von 11.270,70 €. Im Juni 2016 erklärte der Beschwerdeführer den Widerspruch zu dem Versicherungsvertrag. Er begründete die Zulässigkeit seines Widerspruchs mit einer fehlerhaften Belehrung über sein Rücktrittsrecht und mit unzureichenden Verbraucherinformationen.

Randnummer3

2. Das Landgericht Trier wies die unter anderem auf Rückabwicklungsansprüche in Höhe von 17.319,51 € nebst Zinsen gerichtete Klage des Beschwerdeführers mit Urteil vom 26. Januar 2021 – 6 O 502/19 – ab. Der Versicherungsvertrag sei nicht aufgrund des Widerspruchs unwirksam geworden. Es könne dahinstehen, ob der Vertragsschluss im Policen- oder im Antragsmodell erfolgt und ob die Belehrung über das Widerspruchsrecht ordnungsgemäß gewesen sei. Die Ausübung des Rücktrittsrechts sei jedenfalls gemäß § 242 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – unzulässig. So könne nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Ausübung des Widerspruchs- bzw. Rücktrittsrechts wegen widersprüchlichen Verhaltens im Einzelfall trotz einer nur unzureichenden Belehrung ausgeschlossen sein, sofern besonders gravierende Umstände vorlägen. Dies sei hier der Fall. Unabhängig davon, ob die Belehrung über das Widerspruchsrecht den rechtlichen Anforderungen genüge, sei die ursprüngliche Versicherungsnehmerin dadurch darauf hingewiesen worden, dass sie sich kurzfristig von dem Vertrag lösen könne. Sie habe den Bestand des Vertrags allerdings nicht in Frage gestellt und während dessen Laufzeit von 2002 bis zu ihrem Tod im Jahr 2010 – über acht Jahre hinweg – vierteljährlich Auszahlungen erhalten. Nach Eintritt in den Versicherungsvertrag habe auch der Beschwerdeführer dessen Bestand nicht in Frage gestellt. Nach der Vertragsabrechnung im März 2012 sei er vier weitere Jahre untätig geblieben und habe im Juni 2016 – 14 Jahre nach dem Vertragsschluss – unvermittelt den Widerspruch zu dem Vertrag erklärt, ohne dass er innerhalb dieses Zeitraums gegenüber der Beklagten auch nur ansatzweise zum Ausdruck gebracht hätte, dass er trotz der erfolgten Abwicklung des Vertrages den Widerspruch noch erklären wolle. Dieser lange Zeitraum nach endgültiger Abwicklung des Vertrages begründe einen besonders gravierenden Umstand, der den Einwand des Rechtsmissbrauchs wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben rechtfertige.

Randnummer4

3. Im Berufungsverfahren erteilte das Oberlandesgericht Koblenz mit Beschluss vom 27. September 2021 einen Hinweis nach § 522 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO –. Es sei beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen. Die Ausübung des Widerspruchsrechts stelle sich aufgrund der Gesamtumstände des Einzelfalls als grob widersprüchliches und damit gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßendes Verhalten des Beschwerdeführers dar.

Randnummer5

4. Das Oberlandesgericht Koblenz wies die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Trier mit dem angegriffenen Beschluss vom 2. November 2021 als unbegründet zurück. Insbesondere treffe es nicht zu, dass rechtsmissbräuchliches Verhalten nur festgestellt werden könne, wenn die vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten Voraussetzungen eines Rechtsmissbrauchs – vor allem ein zusätzliches subjektives Element – vorlägen. Zwar seien die Vorgaben des Unionsrechts bei der Anwendung des nationalen Einwands des Rechtsmissbrauchs zu berücksichtigen, sofern dieser unionsrechtlich verbürgte Rechte beeinträchtige. Der Europäische Gerichtshof halte den Einwand des Rechtsmissbrauchs nach nationalem Recht aber grundsätzlich für zulässig. Zwar dürfe er die volle Wirksamkeit des Unionsrechts und dessen einheitliche Anwendung nicht beeinträchtigen. Insbesondere dürften die mit dem Unionsrecht verfolgten Zwecke nicht vereitelt werden. Sofern der Einwand des Rechtsmissbrauchs Rechte oder Ansprüche beschränke, die aus einer Richtlinienumsetzung resultierten, und sofern die Richtlinie keinen Missbrauchsvorbehalt enthalte, mache die Anwendung des § 242 BGB gegebenenfalls eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts erforderlich. Daran gemessen sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich von einem ewigen Widerspruchsrecht auszugehen, wenn sich erweise, dass der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über sein Lösungsrecht vom Lebensversicherungsvertrag belehrt worden sei. Der Europäische Gerichtshof erkenne aber an, dass die nationalen Gerichte einen Rechtsmissbrauch nach nationalem Recht prüfen und feststellen dürften, wenn – wie vorliegend – keine europäischen Regelungen zum Rechtsmissbrauch getroffen seien. Demgegenüber seien die Entscheidungen des Gerichtshofs, auf die der Beschwerdeführer sich berufe, nicht zum Recht der Lebensversicherungen ergangen, sondern zu Verbraucherkrediten. Sie stünden einer Entscheidung anhand der allgemeinen Voraussetzungen eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens daher nicht entgegen. Der Sinn der Lebensversicherungsrichtlinien, dem Verbraucher nach Vertragsschluss durch ein grundsätzlich unbefristetes Lösungsrecht vom Vertrag noch eine genaue Prüfung der übernommenen Pflichten sowie einen Vergleich mit Produkten anderer Anbieter am Lebensversicherungsmarkt zu ermöglichen, sei durch die Anwendung der Grundsätze zum rechtsmissbräuchlichen Verhalten als Fallgruppe des § 242 BGB nicht gefährdet, insbesondere da vorliegend eine – wenn auch möglicherweise nicht ordnungsgemäße – Belehrung erfolgt sei.

Randnummer6

5. Die hiergegen gerichtete Anhörungsrüge wies das Oberlandesgericht Koblenz mit dem angegriffenen Beschluss vom 9. Februar 2022 zurück. Der Senat habe den Sachvortrag des Beschwerdeführers berücksichtigt. Insbesondere habe er sich mit der zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auseinandergesetzt. Lediglich klarstellend werde darauf hingewiesen, dass das Urteil des Gerichtshofs vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) nicht zu den Lebensversicherungsrichtlinien, sondern zu Verbraucherdarlehensverträgen ergangen sei. Diese Rechtsgebiete seien einander nicht gleichzustellen. Darlehensverträge hätten bereits im Ausgangspunkt eine vollkommen andere Vertragsgestaltung und Zielsetzung als Lebensversicherungen. Es handele sich um vollständig verschiedene Vertragstypen, die lediglich die Gemeinsamkeit aufwiesen, dass ein Verbraucher an ihnen beteiligt sei. Die Verbraucherinformationen, die dem Versicherungsnehmer zu erteilen seien, seien aber völlig andere als die, die der kreditgebenden Bank gegenüber dem Kreditnehmer oblägen. Nicht identisch seien auch die Anforderungen an die Belehrung zum Vertragswiderspruch und die Voraussetzungen eines solchen. Die Folgen einer etwaigen Vertragsrückabwicklung seien ebenfalls nicht gleichzusetzen. Der Widerruf eines Ratenkredites habe für den Verbraucher in erster Linie zur Folge, dass er das erhaltene Kapital zurückzahlen müsse. Ein Anspruch auf Ersatz von Nutzungen und Raten bestehe nicht. Der Beschwerdeführer mache dagegen umfassende bereicherungsrechtliche Nutzungsersatzansprüche geltend. Derartigen Ansprüchen könne der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegengehalten werden, wenn dessen enge Voraussetzungen – wie hier – im Einzelfall vorlägen. Damit stehe im Einklang, dass der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 19. Dezember 2019 (– C-355/18 u.a. –, juris – Rust-Hackner) entschieden habe, dass Fehler bei den mitgeteilten Informationen, die dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit des Rücktritts nähmen, dem Anlaufen der Widerspruchsfrist unter Umständen nicht entgegenstünden. Dieses Urteil betreffe zwar nicht die Frage der Treuwidrigkeit. Der Europäische Gerichtshof habe aber deutlich gemacht, dass im Bereich der Lebensversicherungsrichtlinien die nationalen Gerichte ihre Prüfung an einer Gesamtwürdigung auszurichten hätten, bei der insbesondere dem nationalen Rechtsrahmen und den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen sei.

II.

Randnummer7

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer zuletzt noch eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 17 Abs. 1 Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV –) im Hinblick auf den gesetzlichen Richter (Art. 6 Abs. 1 LV) und des Rechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 124 LV).

Randnummer8

Das Oberlandesgericht habe das Recht auf den gesetzlichen Richter und die Rechtsschutzgarantie verletzt, indem es willkürlich gegen seine Vorlagepflicht an den Gerichtshof der Europäischen Union verstoßen und durch die Berufungszurückweisung im Beschlusswege zugleich die Möglichkeit einer Revisionszulassung versperrt habe. Die materiell-rechtliche Entscheidung des Oberlandesgerichts hinsichtlich der Annahme von Rechtsmissbrauch wird dagegen ausdrücklich nicht gerügt.

Randnummer9

1. Das Oberlandesgericht sei offensichtlich zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV – verpflichtet gewesen. Denn die Entscheidung, dem Beschwerdeführer die Berufung auf ein ihm nach Unionsrecht zustehendes Widerspruchsrecht allein wegen einer nach nationalen Kriterien beurteilten Rechtsmissbräuchlichkeit zu verwehren, sei mit Unionsrecht nicht zu vereinbaren. Dies ergebe sich eindeutig aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank).

Randnummer10

2. Das Oberlandesgericht sei seiner Vorlagepflicht willkürlich nicht nachgekommen. Es habe nämlich eine klare oder geklärte Rechtslage des Unionsrechts, die eine Vorlage entbehrlich machen würde, ohne nachvollziehbare Begründung unterstellt.

Randnummer11

So habe das Oberlandesgericht keine einzige Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union benennen können, nach der Rechte aus einer europäischen Richtlinie wegen eines nach nationalen Kriterien beurteilten Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen werden dürften. Es sei schon zweifelhaft, ob der Rechtsmissbrauchseinwand in Fällen unzureichender Belehrung über das Widerspruchsrecht überhaupt angewendet werden dürfe. Jedenfalls habe der Gerichtshof in zahlreichen Entscheidungen eigene Tatbestandsvoraussetzungen für einen Rechtsmissbrauch formuliert. Diese umfassten neben objektiven Kriterien – anders als nach deutschem Recht – stets auch subjektive Elemente. Spätestens mit dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) sei unionsrechtlich eindeutig geklärt, dass sich die Voraussetzungen für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten allein unionsrechtlich bestimmen ließen. Ein danach zwingend erforderliches subjektives Tatbestandsmerkmal habe das Oberlandesgericht aber weder geprüft noch sei ein solches erfüllt.

Randnummer12

Auch sei die Annahme des Oberlandesgerichts nicht vertretbar, dass die zu der Verbraucherkreditrichtlinie getroffenen Feststellungen des Gerichtshofs der Europäischen Union im Urteil vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) nicht auf die Lebensversicherungsrichtlinien übertragbar seien. Der Gerichtshof selbst habe in dem Urteil nämlich eine Parallele zwischen beiden Rechtsgebieten gezogen, indem er dort auf seine Rechtsprechung zu den Lebensversicherungsrichtlinien verwiesen habe. Ohnehin sei es aber auch allgemein zulässig, Feststellungen des Gerichtshofs auf andere Konstellationen und Rechtsgebiete zu übertragen. Dies gelte erst Recht angesichts der Gemeinsamkeiten der hier betroffenen Rechtsgebiete. So handele es sich jeweils um Dauerschuldverhältnisse, beide Richtlinien verfolgten den Zweck einer ausreichenden Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucher über alle wesentlichen Gesichtspunkte der Verträge und bezweckten deren Schutz durch ein Vertragslösungsrecht. Nichts anderes folge daraus, dass die Verbraucherkreditrichtlinien eine Vollharmonisierung anstrebten, wohingegen mit den Lebensversicherungsrichtlinien (nur) eine Teilharmonisierung beabsichtigt sei. Denn zum einen eröffne auch die Verbraucherkreditrichtlinie Gestaltungsspielräume. Insbesondere seien in der Richtlinie keine Vorgaben zum Rechtsmissbrauch getroffen worden. Zum anderen handele es sich bei dem in den Lebensversicherungsrichtlinien vorausgesetzten Vertragslösungsrecht um einen Mindeststandard, der auch im (nur) teilharmonisierten Bereich nicht beschränkt werden dürfe. Lediglich die Modalitäten der Ausübung und die Rechtsfolgen seien dem nationalen Gesetzgeber zur Regelung überlassen, wobei auch insoweit der unionsrechtliche Grundsatz der Effektivität zu wahren sei. Hinsichtlich des Bestehens eines Lösungsrechts verbleibe aber – wie hinsichtlich des Widerrufsrechts nach der Verbraucherkreditrichtlinie – kein nationalstaatlicher Spielraum. Von einer Übertragbarkeit der Feststellungen des Gerichtshofs in seinem Urteil vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) auf die Lebensversicherungsrichtlinien seien jüngst auch das Oberlandesgericht Rostock (Beschluss vom 9. November 2021 und Urteil vom 8. März 2022 – 4 U 51/21 –, juris) und das Landgericht Erfurt (Beschluss vom 30. Dezember 2021 – 8 O 1519/20 –, juris) ausgegangen.

Randnummer13

Schließlich könne das Oberlandesgericht das Absehen von einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht unter Berufung auf den Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Februar 2015 (– 2 BvR 2437/14 –, juris Rn. 43 ff.) rechtfertigen. Zwar betreffe diese Entscheidung die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach dem Widerspruchsrecht im Lebensversicherungsrecht der nach nationalen Kriterien beurteilte Rechtsmissbrauchseinwand entgegengehalten werden könne. Auch sei das Bundesverfassungsgericht davon ausgegangen, dass der Verzicht des Bundesgerichtshofs auf eine Vorlage an den Gerichtshof in diesem Zusammenhang das Recht auf den gesetzlichen Richter nicht verletzt habe. Allerdings habe das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich nur für den Fall einer ordnungsgemäßen Belehrung über die dem Versicherungsnehmer zustehenden Rechte entschieden, woran es vorliegend fehle. Vor allem aber sei die Entscheidung durch die aktuelle Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union überholt.

III.

Randnummer14

Der Verfassungsgerichtshof hat der Landesregierung und der Beklagten des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Randnummer15

1. Das Ministerium der Justiz hat namens der Landesregierung von einer Stellungnahme abgesehen.

Randnummer16

2. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig. Eine Verletzung in den Rechten des Beschwerdeführers komme nicht in Betracht, da es schon an einer fehlerhaften Anwendung einfachen Rechts fehle. Jedenfalls erweise sich die Rechtsanwendung aber nicht als willkürlich oder unsachlich. Die Entscheidung sei vielmehr vertretbar und überzeugend begründet und stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sowie zahlreicher Obergerichte.

Randnummer17

a) Der strenge verfassungsrechtliche Maßstab für die Annahme von Willkür sei nicht erfüllt, soweit das Oberlandesgericht die Feststellung eines Rechtsmissbrauchs allein nach nationalen Maßstäben und ohne das Vorliegen eines subjektiven Tatbestandselements vorgenommen habe. Das Oberlandesgericht habe sich nämlich ausführlich mit der Frage der Ausstrahlungswirkung des Unionsrechts auf das Institut des Rechtsmissbrauchs auseinandergesetzt und ausgeführt, dass die Vorgaben des Unionsrechts insoweit zu berücksichtigen seien. Dabei habe es insbesondere die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) sowie deren Übertragbarkeit auf die vorliegende Konstellation gewürdigt. Von einer krassen Verkennung der Rechtslage könne demnach keine Rede sein.

Randnummer18

Hinzu komme, dass die vom Oberlandesgericht vertretene Auffassung mit der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung zu dieser Frage in Einklang stehe. Auch der Bundesgerichtshof habe sich in seinem Beschluss vom 17. November 2021 (– IV ZR 38/21 –, n.v.) – nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) – erneut mit den unionsrechtlichen Fragestellungen befasst und dennoch keine Veranlassung gesehen, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Es könne nicht ernsthaft behauptet werden, dass der Bundesgerichtshof und zahlreiche Oberlandesgerichte die Rechtslage in krasser Weise verkannt hätten.

Randnummer19

b) Auch die Rechte auf den gesetzlichen Richter und auf effektiven Rechtsschutz seien nicht verletzt. Für eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter fehle es an einer willkürlich fehlerhaften Auslegung und Anwendung einfachen Rechts. Das Oberlandesgericht habe die Nicht-Zulassung der Revision überzeugend darauf gestützt, dass es sich um eine nicht verallgemeinerungsfähige Einzelfallentscheidung im Rahmen der allgemein geklärten Voraussetzungen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens handele.

Randnummer20

Da die Maßstäbe des Europäischen Gerichtshofs zur Berücksichtigung von Rechtsmissbrauch abschließend geklärt seien, wäre eine erneute Vorlage an den Gerichtshof sogar unzulässig. Nationales Recht dürfe der Gerichtshof nicht auslegen und er könne auch keine Abwägungsentscheidung im Einzelfall vornehmen. Jedenfalls sei die Entscheidung des Oberlandesgerichts, von einer Vorlage abzusehen, vertretbar und keinesfalls willkürlich. Dieser Ansicht habe sich auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Kammerbeschluss vom 2. Februar 2015 (– 2 BvR 2437/14 –, juris) angeschlossen, woraufhin auch zahlreiche weitere Gerichte – unter anderem der Bundesgerichtshof – von einer Vorlage abgesehen hätten.

Randnummer21

Auch hinsichtlich der Nicht-Zulassung der Revision sei die Begründung des Oberlandesgerichts, es handele sich um eine nicht verallgemeinerbare Würdigung der Umstände des Einzelfalls nicht zu beanstanden. Da es einzig um eine Bewertung des individuellen Verhaltens des Beschwerdeführers als treuwidrig gehe und allgemein gültige Maßstäbe dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine fehlende oder unzureichende Belehrung einer Anwendung von § 242 BGB entgegenstehe, nicht aufgestellt werden könnten, komme der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall obliege nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich dem Tatgericht.

IV.

Randnummer22

Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Verfassungsgerichtshof vorgelegen.

B.

Randnummer23

Die Verfassungsbeschwerde, über die der Verfassungsgerichtshof gemäß § 49 Abs. 1 des Landesgesetzes über den Verfassungsgerichtshof – VerfGHG – ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Insbesondere steht ihr die Bundesrechtsklausel (§ 44 Abs. 2 VerfGHG) nicht entgegen.

Randnummer24

Die gegen die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Koblenz und damit gegen die öffentliche Gewalt des Landes erhobene Verfassungsbeschwerde ist gemäß Art. 130a, Art. 135 Abs. 1 Nr. 4 der Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV –, § 44 Abs. 1 VerfGHG statthaft. Der Umstand, dass die angefochtenen Entscheidungen auf bundesrechtliche Regelungen (Bürgerliches Gesetzbuch, Gesetz über den Versicherungsvertrag) gestützt sind, steht einer Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof nicht entgegen. Zwar ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, soweit die öffentliche Gewalt des Landes Bundesrecht ausführt oder anwendet (§ 44 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG, vgl. auch Art. 135 Abs. 2 Satz 2 LV). § 44 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 VerfGHG lässt hiervon jedoch eine Ausnahme zu. Der Verfassungsgerichtshof ist danach befugt, die Durchführung des bundesrechtlich geregelten Verfahrens durch die Gerichte an den Grundrechten der Landesverfassung zu messen, soweit diese den gleichen Inhalt haben wie die entsprechenden Rechte des Grundgesetzes – GG – (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 16. März 2001 – VGH B 14/00 –, AS 29, 89 [91 f.]; Beschluss vom 11. Mai 2006 – VGH B 6/06 –, AS 33, 186 [188]; Beschluss vom 29. Oktober 2010 – VGH B 27/10 –, LKRZ 2011, 14; Urteil vom 24. Februar 2014 – VGH B 26/13 –, AS 42, 157 [162]; Beschluss vom 19. November 2019 – VGH B 10/19 –, juris Rn. 27; Urteil vom 15. Januar 2020 – VGH B 19/19 –, AS 47, 350 [356 f.]; vgl. ferner BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 1997 – 2 BvN 1/95 –, BVerfGE 96, 345 [372]).

Randnummer25

Demnach ist die Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs vorliegend eröffnet. Die aufgeworfenen Fragen der Notwendigkeit der Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV sowie der Zulässigkeit einer Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege nach § 522 Abs. 2 ZPO betreffen ausschließlich die Durchführung des gerichtlichen Verfahrens im Sinne des § 44 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 VerfGHG; eine Verletzung materiellen Bundesrechts ist dagegen nicht geltend gemacht. Dabei schützt der in der Sache als verletzt gerügte allgemeine Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 LV in Verbindung mit dem in Art. 77 LV verankerten Rechtsstaatsprinzip das Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes im Zivilprozess – ebenso wie dies im Verhältnis von Art. 124 LV zu Art. 19 Abs. 4 GG gilt (vgl. VerfGH RP, Urteil vom 15. Januar 2020 – VGH B 19/19 –, AS 47, 350 [357]) – übereinstimmend mit der entsprechenden, aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. Mai 2012 – 1 BvR 509/11 –, juris Rn. 8 m.w.N.; BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 1992 – 1 BvL 1/89 –, BVerfGE 85, 337 [345]; stRspr) abgeleiteten Gewährleistung des Grundgesetzes (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 28. Dezember 2021 – VGH B 62/21 –, juris Rn. 24). Auch ist das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV) inhaltlich vergleichbar mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 29. Oktober 2010 – VGH B 27/10 –, LKRZ 2011, 14; Urteil vom 15. Januar 2020 – VGH B 19/19 –, AS 47, 350 [357]; Stahnecker, in: Brocker/Droege/Jutzi [Hrsg.], Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 4, 7 m.w.N.).

C.

Randnummer26

Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 2. November 2021 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV.

I.

Randnummer27

1. Der Gerichtshof der Europäischen Union ist gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 26. Oktober 2016 – VGH B 16/16 –, n.v.). Unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV sind die nationalen Gerichte von Amts wegen gehalten, den Gerichtshof anzurufen. Kommt ein deutsches Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des Gerichtshofs im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nicht nach oder stellt es ein Vorabentscheidungsersuchen, obwohl eine Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht gegeben ist, kann dem Rechtsschutzsuchenden des Ausgangsrechtsstreits der gesetzliche Richter entzogen sein (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 26. Oktober 2016 – VGH B 16/16 –, n.v.; entspr. zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12 u.a. –, BVerfGE 135, 155 [230 ff. Rn. 176 ff.] m.w.N.; Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 9; zur Inhaltsgleichheit von Art. 6 Abs. 1 LV und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG VerfGH RP, Beschluss vom 16. März 2001 – VGH B 14/00 –, AS 29, 89 [92]).

Randnummer28

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – C-283/81 –, juris Rn. 21 – C.I.L.F.I.T.; Urteil vom 6. Oktober 2021 – C-561/19 –, juris Rn. 33, 51 – Consorzio Italian Management) muss ein nationales letztinstanzliches Gericht seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war (acte éclairé) oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (acte clair) (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 26. Oktober 2016 – VGH B 16/16 –, n.v.; BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12 u.a. –, BVerfGE 135, 155 [231 Rn. 178]; Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 10). Von einem acte clair darf das innerstaatliche Gericht aber nur ausgehen, wenn es überzeugt ist, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und für den Gerichtshof der Europäischen Union die gleiche Gewissheit bestünde. Ein acte éclairé liegt vor, wenn die gestellte Frage tatsächlich bereits in einem gleichgelagerten Fall Gegenstand einer Vorabentscheidung gewesen ist, oder wenn eine gesicherte Rechtsprechung des Gerichtshofs vorliegt, durch die die betreffende Rechtsfrage gelöst ist, gleich in welcher Art von Verfahren sich diese Rechtsprechung gebildet hat, und selbst dann, wenn die strittigen Fragen nicht vollkommen identisch sind. Nur in diesen Fällen darf das Gericht von einer Vorlage absehen und die Frage in eigener Verantwortung lösen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 10; EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – C-283/81 –, juris Rn. 16 – C.I.L.F.I.T.; Urteil vom 6. Oktober 2021 – C-561/19 –, juris Rn. 33, 36, 40 – Consorzio Italian Management).

Randnummer29

2. Nicht jede Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht stellt aber zugleich einen Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter dar. Vielmehr ist die Auslegung und Anwendung des jeweiligen Verfahrensrechts im Grundsatz Sache der Fachgerichte (VerfGH RP, Urteil vom 15. Januar 2020 – VGH B 19/19 –, AS 47, 350 [360]). Eine Verletzung von Verfassungsrecht liegt nur vor, wenn die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 26. Oktober 2016 – VGH B 16/16 –, n.v.; entspr. zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12 u.a. –, BVerfGE 135, 155 [231 f. Rn. 180] m.w.N.; Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 11).Durch die zurückgenommene verfassungsrechtliche Prüfung behalten die Fachgerichte bei der Auslegung und Anwendung von Unionsrecht einen Spielraum eigener Einschätzung und Beurteilung, der demjenigen bei der Handhabung einfachrechtlicher Bestimmungen der deutschen Rechtsordnung entspricht. Der Verfassungsgerichtshof wacht – ebenso wie das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12
u.a. –, BVerfGE 135, 155 [232 Rn. 180]; Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 11) – allein über die Einhaltung der Grenzen dieses Spielraums.

Randnummer30

Die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV wird in den Fällen offensichtlich unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der – seiner Auffassung nach bestehenden – Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt und das Unionsrecht somit eigenständig fortbildet (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht) (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12 u.a. –, BVerfGE 135, 155 [232 Rn. 181]).Eine Verkennung der Vorlagepflicht ist auch anzunehmen, wenn das Gericht offenkundig einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht auswertet (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. März 2022 – 2 BvR 2069/21 –, juris Rn. 40). Gleiches gilt in den Fällen, in denen das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt (bewusstes Abweichen ohne Vorlagebereitschaft). Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs hingegen noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit (Unvollständigkeit der Rechtsprechung), wird das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschreitet (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12 u.a. –, BVerfGE 135, 155 [232 f. Rn. 182 f.]). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 14). Jedenfalls bei willkürlicher Annahme eines „acte clair“ oder eines „acte éclairé“ durch die Fachgerichte ist der Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 26. Oktober 2016 – VGH B 16/16 –, n.v.; entspr. BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12 u.a. –, BVerfGE 135, 155 [232 f. Rn. 183] m.w.N.; Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 14). In diesem Zusammenhang ist auch zu prüfen, ob sich das Gericht hinsichtlich des Unionsrechts ausreichend kundig gemacht hat. Etwaige einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union muss es auswerten und seine Entscheidung hieran orientieren. Auf dieser Grundlage muss das Fachgericht unter Anwendung und Auslegung des materiellen Unionsrechts die vertretbare Überzeugung bilden, dass die Rechtslage entweder von vornherein eindeutig („acte clair“) oder durch Rechtsprechung in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt („acte éclairé“). Hat es dies nicht getan, verkennt es regelmäßig die Bedingungen für die Vorlagepflicht (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12 u.a. –, BVerfGE 135, 155 [233 Rn. 184]; Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 15 m.w.N.). Bei den vorstehend genannten Fallgruppen handelt es sich um eine nicht abschließende Aufzählung von Beispielen für eine verfassungsrechtlich erhebliche Verletzung der Vorlagepflicht (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 16).

Randnummer31

3. Offensichtlich unhaltbar gehandhabt wird Art. 267 Abs. 3 AEUV im Falle der Unvollständigkeit der Rechtsprechung schließlich auch dann, wenn das Fachgericht das Vorliegen einer von vornherein eindeutigen oder zweifelsfrei geklärten Rechtslage ohne sachliche (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2017 – 2 BvR 424/17 –, BVerfGE 147, 364 [385 Rn. 52]; Kammerbeschluss vom 30. März 2022 – 2 BvR 2069/21 –, juris Rn. 42 m.w.N.) bzw. sachlich einleuchtende Begründung annimmt (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12 u.a. –, BVerfGE 135, 155 [233 Rn. 185]). Die Zurücknahme der verfassungsgerichtlichen Prüfung der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV durch die Fachgerichte auf eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums geht einher mit einer Verpflichtung der Fachgerichte zur Begründung ihrer diesbezüglichen Entscheidung.

Randnummer32

Die Pflicht der Fachgerichte zur Begründung folgt aus den verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV bzw. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und steht deshalb nicht in Widerspruch zu dem Grundsatz, dass letztinstanzliche Entscheidungen grundsätzlich von Verfassungs wegen nicht begründet zu werden brauchen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. März 2012 – 1 BvR 2365/11 –, juris Rn. 19). Dabei wirkt die Integrationsverantwortung des Grundgesetzes, die sämtliche Staatsorgane und damit auch die (Landes-)Verfassungsgerichte tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. November 2019 – 1 BvR 276/17 –, BVerfGE 152, 216 [238 f. Rn. 55 f.]), auf die Begründungspflicht hinsichtlich der Anwendung des Art. 267 Abs. 3 AEUV ein. So fordert die in Art. 23 Abs. 1 GG vorgesehene Öffnung des Grundgesetzes für das Unionsrecht von allen Staatsorganen eine Mitwirkung an dessen Entfaltung und Umsetzung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. November 2019 – 1 BvR 276/17 –, BVerfGE 152, 216 [238 f. Rn. 55 f., 243 Rn. 67]). Für den Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz ergibt sich dies zusätzlich aus Art. 74a Satz 1 LV. Die Verfassungsgerichte nehmen ihre Integrationsverantwortung unter anderem durch die Kontrolle der Fachgerichte auf die Beachtung der Vorlagepflicht aus Art. 267 Abs. 3 AEUV unter der Perspektive der Garantie des gesetzlichen Richters wahr, da die unionale Vorlagepflicht verfassungsrechtlich durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV bzw. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG abgesichert wird (siehe auch BVerfG, Beschluss vom 6. November 2019 – 1 BvR 276/17 –, BVerfGE 152, 216 [242 Rn. 64]; Calliess, NJW 2013, 1905 [1907]; Meickmann, DVBl. 2022, 278 [283]). Verfassungsrechtlich abgesichert wird dabei auch die unionsrechtlich aus dem mit Art. 267 AEUV eingeführten System der unmittelbaren Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof der Europäischen Union und den einzelstaatlichen Gerichten unter Berücksichtigung von Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union folgende Verpflichtung eines letztinstanzlichen Gerichts zur Begründung seiner Entscheidung, wenn es sich wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit oder einer von vornherein eindeutigen oder zweifelsfrei geklärten Rechtslage von der Vorlageplicht entbunden sieht (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2021 – C-561/19 –, juris Rn. 27, 51, 53 – Consorzio Italian Management).

Randnummer33

Das Fachgericht hat deshalb Gründe anzugeben, die dem Verfassungsgericht die gebotene Kontrolle am Maßstab der Verfassung überhaupt erst ermöglichen (siehe auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Januar 2021 – 1 BvR 2853/19 –, juris Rn. 15 m.w.N.). Ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle auf eine Vertretbarkeitsprüfung beschränkt, muss sich umgekehrt gerade die Vertretbarkeit der Handhabung der Vorlagepflicht aus der Begründung des Fachgerichts ergeben. Das Fachgericht muss eine nachvollziehbare, vertretbare Begründung dafür geben, dass die maßgebliche Rechtsfrage durch den Gerichtshof der Europäischen Union bereits entschieden oder die richtige Antwort auf diese Rechtsfrage derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (siehe auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. Februar 2010 – 1 BvR 230/09 –, juris Rn. 21; Kammerbeschluss vom 3. März 2014 – 1 BvR 2534/10 –, juris Rn. 27, 31; Kammerbeschluss vom 30. März 2022 – 2 BvR 2069/21 –, juris Rn. 52). Es darf sich insbesondere nicht auf leerformelhafte Erwägungen beschränken (vgl. Dreher, in: Festschrift für Bornkamm, 2014, S. 128). Dabei hängen der erforderliche Umfang und das Maß der Begründung von den Umständen des Einzelfalls ab.

II.

Randnummer34

Daran gemessen hat das Oberlandesgericht Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV verletzt. Die Voraussetzungen der Vorlagepflicht des Art. 267 Abs. 3 AEUV lagen vor (1.). Das Oberlandesgericht hat die Vorlagepflicht auch offensichtlich unhaltbar gehandhabt, da es keine tragfähige Begründung für sein Absehen von einer Vorlage gegeben hat (2.).

Randnummer35

1. Das Oberlandesgericht war nach Art. 267 Abs. 3 AEUV verpflichtet, ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union dazu durchzuführen, ob und unter welchen Voraussetzungen es mit Unionsrecht vereinbar ist, wenn die Ausübung eines durch die Lebensversicherungsrichtlinien garantierten Widerspruchsrechts wegen Rechtsmissbrauchs des Versicherungsnehmers ausgeschlossen wird, obwohl dieser nicht ordnungsgemäß über sein Recht belehrt wurde. Denn das Oberlandesgericht ist ein zur Vorlage verpflichtetes Gericht im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV (a)), es hat nicht festgestellt, dass die in dem bei ihm schwebenden Verfahren sich stellenden Fragen des Unionsrechts nicht entscheidungserheblich sind (b)) und es greift keine der vom Gerichtshof der Europäischen Union anerkannten Ausnahmen von der Vorlagepflicht (c)).

Randnummer36

a) Das Oberlandesgericht Koblenz ist ein zur Vorlage verpflichtetes Gericht im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV, weil die angegriffene Entscheidung selbst nicht mit (ordentlichen) Rechtsmitteln des nationalen Rechts angefochten werden kann. Insoweit ist nicht auf eine abstrakt-institutionelle, sondern auf eine konkrete Betrachtungsweise abzustellen. Letztinstanzliche Gerichte im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV sind solche, deren Entscheidung im konkreten Einzelfall nicht mit einem Rechtsmittel angefochten werden kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 3. März 2014 – 1 BvR 2534/10 –, juris Rn. 26; Wegener, in: Calliess/Ruffert [Hrsg.], EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 267 Rn. 28; Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim [Hrsg.], Das Recht der Europäischen Union, AEUV Art. 267 Rn. 52 [Januar 2022]; Schwarze/Wunderlich, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo [Hrsg.], EU-Kommentar, 4. Aufl. 2019, AEUV Art. 267 Rn. 43; Ehricke, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, AEUV Art. 267 Rn. 41; Calliess, NJW 2013, 1905 [1906]; wohl auch EuGH, Urteil vom 15. September 2005 – C-495/03 –, juris Rn. 30 – Intermodal Transports; Urteil vom 4. Juni 2002 – C-99/00 –, juris Rn. 14 ff. – Lyckeskog; Marsch, in: Schoch/Schneider [Hrsg.], Verwaltungsrecht, Stand: 41. EL Juli 2021, AEUV Art. 267 Rn. 37). Das ist hier der Fall. Zwar ist der die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisende Beschluss gemäß § 522 Abs. 3 ZPO grundsätzlich in gleicher Weise anfechtbar wie ein die Berufung zurückweisendes Urteil, in dem die Revision nicht zugelassen wurde. Demnach wäre die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nach § 544 ZPO statthaft. Bei dieser handelt es sich zwar um ein Rechtsmittel im Sinne des Art. 267 Abs. 3 AEUV. Die Nichtzulassungsbeschwerde war im konkreten Fall indes nicht eröffnet, weil der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000,00 € nicht überstieg (vgl. § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Randnummer37

b) Das Oberlandesgericht hat nicht festgestellt, dass die in einem bei ihm schwebenden Verfahren sich stellenden Fragen des Unionsrechts nicht entscheidungserheblich sind. Es hat die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Rückabwicklungsansprüche mit der Begründung abgelehnt, dass diesem die Ausübung des Widerspruchsrechts aus § 5a des Gesetzes über den Versicherungsvertrag in der Fassung vom 13. Juli 2001 – VVG a.F. – bzw. § 8 VVG a.F. für den im März 2002 geschlossenen Lebensversicherungsvertrag wegen Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB verwehrt sei. Dies gelte unabhängig davon, ob der Versicherungsnehmer ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden sei, und auch ein subjektives Tatbestandsmerkmal sei für die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nicht erforderlich; vielmehr richte sich die Rechtsmissbräuchlichkeit gemessen an nationalem Recht nach den objektiven Gesamtumständen.

Randnummer38

Das Widerspruchsrecht in dem auf den vorliegenden Fall noch anwendbaren Versicherungsvertragsrecht findet seine Grundlage in Art. 15 Abs. 1 Zweite Richtlinie 90/619/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG – Zweite Richtlinie Lebensversicherung – in der durch die Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG – Dritte Richtlinie Lebensversicherung – geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 31 Dritte Richtlinie Lebensversicherung. Nach Art. 15 Abs. 1 Zweite Richtlinie Lebensversicherung schreibt jeder Mitgliedstaat vor, dass der Versicherungsnehmer eines individuellen Lebensversicherungsvertrags von dem Zeitpunkt an, zu dem der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist, über eine Frist verfügt, die zwischen 14 und 30 Tagen betragen kann, um von dem Vertrag zurückzutreten. Dabei soll die Mitteilung des Versicherungsnehmers, dass er vom Vertrag zurücktritt, ihn für die Zukunft von allen aus diesem Vertrag resultierenden Verpflichtungen befreien. Nach Art. 15 Abs. 1 UAbs. 3 Zweite Richtlinie Lebensversicherung werden die übrigen rechtlichen Wirkungen des Rücktritts und die dafür erforderlichen Voraussetzungen nach dem Recht der Mitgliedstaaten geregelt. Weiter sind dem Versicherungsnehmer gemäß Art. 31 Abs. 1 Dritte Richtlinie Lebensversicherung vor Abschluss des Versicherungsvertrages mindestens die in Anhang II Buchstabe A aufgeführten Angaben mitzuteilen, wozu unter anderem die Modalitäten der Ausübung des Widerrufs und Rücktrittrechts gehören.

Randnummer39

Die Richtlinie enthält weder zu den Folgen einer fehlenden oder unzureichenden Belehrung über das Widerspruchs- bzw. Rücktrittsrecht (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 22 f. – Endress; Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 62 – Rust-Hackner) noch über die Voraussetzungen und Folgen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Versicherungsnehmers eine ausdrückliche Regelung (siehe etwa Schwintowski, VuR 2022, 83 [88]). Deshalb stellte sich in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht die Frage, ob es mit Unionsrecht vereinbar ist, dem Versicherungsnehmer ein auf Grundlage der Lebensversicherungsrichtlinien eingeräumtes Widerspruchsrecht, über das er nicht ordnungsgemäß belehrt worden war, wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens zu verwehren. Weiter stellte sich streitentscheidend die Frage, ob die Voraussetzungen für einen Rechtsmissbrauch unter Berücksichtigung der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts allein nach nationalem Recht bestimmt werden dürfen, auch wenn danach ein subjektives Tatbestandsmerkmal nicht vorausgesetzt wird.

Randnummer40

c) Es greift keine der vom Gerichtshof der Europäischen Union anerkannten Ausnahmen von der Vorlagepflicht. Insbesondere ist die Beantwortung der entscheidungserheblichen Fragen – die sich der Richtlinie nicht eindeutig entnehmen lässt – in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht erschöpfend geklärt.

Randnummer41

aa) Speziell zu den Lebensversicherungsrichtlinien hat der Gerichtshof der Europäischen Union bislang nicht entschieden, ob der Ausübung des danach garantierten Rücktrittsrechts ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Versicherungsnehmers entgegengehalten werden kann, wenn der Versicherungsnehmer nicht (ordnungsgemäß) über dieses Recht belehrt wurde. Auch die Voraussetzungen für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs hat der Gerichtshof im speziellen Kontext der Lebensversicherungsrichtlinien nicht geklärt. Diese Fragen werden insbesondere in den Urteilen des Gerichtshofs vom 19. Dezember 2013 (– C-209/12 –, juris – Endress) und vom 19. Dezember 2019 (– C-355/18 u.a. –, juris – Rust-Hackner) nicht beantwortet.

Randnummer42

(1) Aussagen zu dem Verlust des Rücktrittsrechts aufgrund eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Versicherungsnehmers enthalten die Entscheidungen nicht.

Randnummer43

Etwas anderes folgt nicht aus der Feststellung des Gerichtshofs in seinem Urteil vom 19. Dezember 2019, dass Vorteile, die der Versicherungsnehmer aus einem verspäteten Rücktritt ziehen könnte, außer Betracht zu bleiben haben, da ein solcher Rücktritt nicht dazu dienen würde, die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers zu schützen, sondern dazu, ihm eine höhere Rendite zu ermöglichen oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrags und dem Satz der Vergütungszinsen zu spekulieren (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 120 – Rust-Hackner). Diese Ausführungen stehen nämlich in einem anderen Zusammenhang. Sie beziehen sich auf eine nationale Regelung, nach der im Falle des Rücktritts geleistete Zahlungen zu erstatten und auf die zu erstattenden Beträge Vergütungszinsen zu zahlen sind, letztere aber in drei Jahren verjähren. Es geht demnach um die Rechtsfolgen des Rücktritts und nicht unmittelbar um die Ausübung des Rücktrittsrechts durch den Versicherungsnehmer (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 116 – Rust-Hackner). Wenngleich ähnliche Erwägungen auch für die Zulässigkeit eines Verlusts des Rücktrittsrechts wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens – insbesondere zu einem Zeitpunkt nach vollständiger Erfüllung und Abwicklung des Vertrages – sprechen könnten, hat der Gerichtshof damit aber jedenfalls keine Aussage darüber getroffen, ob ein solcher Verlust mit Unionsrecht vereinbar wäre, wenn der Versicherungsnehmer nicht (ordnungsgemäß) über sein Rücktrittsrecht belehrt wurde, und welche Voraussetzungen für die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens erfüllt sein müssten.

Randnummer44

(2) Auch die Ausführungen des Gerichtshofs in den genannten Entscheidungen zu den Folgen einer fehlenden oder fehlerhaften Belehrung des Versicherungsnehmers über sein Rücktrittsrecht verhalten sich nicht zu dessen rechtsmissbräuchlicher Ausübung.

Randnummer45

(a) So hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. Dezember 2013 (– C-209/12 –, juris – Endress) lediglich eine Aussage zu einem Erlöschen des Rücktrittsrechts aufgrund Zeitablaufs bei fehlender Belehrung getroffen. Danach ist eine nationale Regelung, nach der ein Rücktrittsrecht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt, wenn der Versicherungsnehmer nicht über das Recht zum Rücktritt belehrt worden ist, unzulässig (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 26 f., 30, 32 – Endress).

Randnummer46

(b) Auch das Urteil des Gerichtshofs vom 19. Dezember 2019 (– C-355/18 u.a. –, juris – Rust-Hackner) befasst sich nicht mit der Zulässigkeit und den Voraussetzungen eines Rechtsmissbrauchseinwands, sondern unter anderem mit dem Beginn der Rücktrittsfrist bei fehlender oder nicht ordnungsgemäßer Belehrung. Danach soll, wenn der Versicherer dem Versicherungsnehmer überhaupt keine Informationen über sein Rücktrittsrecht mitgeteilt hat oder die mitgeteilten Informationen derart fehlerhaft sind, dass dem Versicherer die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben, die Rücktrittsfrist selbst dann nicht zu laufen beginnen, wenn der Versicherungsnehmer auf anderem Wege von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hat (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 90 – Rust-Hackner). Zwar geht der Gerichtshof insoweit davon aus, dass es unverhältnismäßig wäre, es einem Versicherungsnehmer zu ermöglichen, sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen, wenn ihm durch eine fehlerhafte Belehrung nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 90 – Rust-Hackner). Selbst wenn man aber diese, ausschließlich den Fristbeginn betreffende Aussagen auf den Verlust des Rücktrittsrechts wegen Rechtsmissbrauchs übertragen oder daraus die Zulässigkeit der Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben im Versicherungsrecht ablesen wollte (siehe etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 12 U 80/21 –, juris Rn. 6 f.), könnte danach allenfalls als geklärt angesehen werden, dass ein solcher Rechtsverlust bei fehlerhafter Belehrung dann in Betracht kommt, wenn der Belehrungsmangel dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen hat, sein Rücktrittsrecht unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben. Auf diesen Aspekt hat sich das Oberlandesgericht zwar bezogen, aber gerade nicht geprüft, ob vorgenannte Voraussetzung auch erfüllt war. Eine hiervon unabhängige Konkretisierung der Voraussetzungen, unter denen im Falle einer fehlerhaften Belehrung die Grundsätze von Treu und Glauben zu einer Beschränkung der Rechte des Versicherungsnehmers führen können, ist der Entscheidung des Gerichtshofs vom 19. Dezember 2019 (– C-355/18 u.a. –, juris – Rust-Hackner) aber nicht zu entnehmen.

Randnummer47

(c) Weiter hat der Gerichtshof geklärt, dass der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht auch noch nach Kündigung und Erfüllung aller Verpflichtungen aus dem Vertrag ausüben kann, sofern in dem auf den Vertrag anwendbaren Recht nicht geregelt ist, welche rechtlichen Wirkungen es hat, wenn überhaupt keine Informationen über das Rücktrittsrecht mitgeteilt wurden oder die darüber mitgeteilten Informationen fehlerhaft waren (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 98 – Rust-Hackner). Auch dem lässt sich keine Aussage über die Zulässigkeit und die Voraussetzungen des Verlusts des Rücktrittsrechts wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Versicherungsnehmers entnehmen. Zwar knüpft die Annahme von Rechtsmissbrauch vorliegend in tatsächlicher Hinsicht unter anderem an den Zeitablauf nach vollständiger Vertragsabwicklung an. Es fehlt aber gerade an einer gesetzlichen Regelung, wie sie dem Urteil des Gerichtshofs vom 10. April 2008 (– C-412/06 –, juris Rn. 49 – Hamilton – zur Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen – Haustürgeschäfte-RL –; vgl. auch EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 97 – Rust-Hackner; Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 31 – Endress; siehe auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 23. Mai 2016 – 1 BvR 2230/15 u.a. –, juris Rn. 53) zugrunde lag, so dass die hier entscheidungserheblichen Fragen auch insoweit nicht als geklärt angesehen werden können.

Randnummer48

(3) Schließlich lassen sich die streitentscheidenden Fragen auch unter Rückgriff auf die allgemeinen Feststellungen des Gerichtshofs in den genannten Entscheidungen zu den Folgen einer fehlenden oder fehlerhaften Belehrung im Lebensversicherungsrecht nicht eindeutig beantworten.

Randnummer49

Im Ausgangspunkt geklärt ist danach zwar, dass die Lebensversicherungsrichtlinien den Fall und die Folgen der fehlenden oder fehlerhaften Belehrung des Versicherungsnehmers über sein Rücktrittsrecht nicht regeln. Deshalb dürfen die Mitgliedstaaten im Einzelnen die Modalitäten der Ausübung des Rücktrittsrechts normieren, wobei diese auch Einschränkungen des Rücktrittsrechts zur Folge haben dürfen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 22 f. – Endress; Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 62 – Rust-Hackner).

Randnummer50

Das bedeutet aber nicht, dass damit jede mitgliedstaatliche Ausgestaltung der Ausübung des Rücktrittsrechts und jegliche Einschränkung dieses Rechts zulässig wären. Vielmehr ist bei der Regelung der Modalitäten des Rücktrittsrechts die praktische Wirksamkeit der mit der Richtlinie verfolgten Zwecke zu wahren (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 22 f. – Endress; Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 62 – Rust-Hackner; siehe auch Knops, RabelsZ 85 [2021], 505 [524 f.]; Kähler, in: Gsell et al. [Hrsg.], BGB, § 242 Rn. 308 [März 2022]). In diesem Zusammenhang ist insbesondere der besondere Informationszweck der Lebensversicherungsrichtlinien zu beachten, wie er sich aus dem 23. Erwägungsgrund der Dritten Richtlinie Lebensversicherung ergibt (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 24 f. – Endress; Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 63 f., 87 – Rust-Hackner). Dort heißt es:

Randnummer51

„Im Rahmen eines einheitlichen Versicherungsmarktes wird dem Verbraucher eine grössere und weiter gefächerte Auswahl von Verträgen zur Verfügung stehen. Um diese Vielfalt und den verstärkten Wettbewerb voll zu nutzen, muß er im Besitz der notwendigen Informationen sein, um den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auszuwählen. Da die Dauer der Verpflichtungen sehr lang sein kann, ist diese Information für den Verbraucher noch wichtiger.“

Randnummer52

Dabei bezwecken die Lebensversicherungsrichtlinien gerade auch, dass mit ihnen sichergestellt werden soll, dass der Versicherungsnehmer insbesondere über sein Rücktrittsrecht zutreffend belehrt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 71, 87 – Rust-Hackner). Mit dem Rücktrittsrecht wiederum soll dem Versicherungsnehmer ermöglicht werden, den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auszuwählen; das Rücktrittsrecht sichert insoweit die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers ab (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 101 f. – Rust-Hackner). Weiter hat der Gerichtshof ausgeführt, dass sich der Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherer in einer schwachen Position befinde, da Versicherungsverträge rechtlich komplexe Finanzprodukte seien, die je nach anbietendem Versicherer große Unterschiede aufwiesen und über einen potentiell sehr langen Zeitraum erhebliche finanzielle Verpflichtungen mit sich bringen könnten (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 29 – Endress). Deshalb soll sich der Versicherer nicht mit Erfolg auf Gründe der Rechtssicherheit berufen können, um einer Situation abzuhelfen, die er dadurch selbst herbeigeführt hat, dass er seiner unionsrechtlichen Obliegenheit zur Mitteilung bestimmter Informationen nicht nachgekommen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 30 – Endress; Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 69, 109 – Rust-Hackner). Auch kann sich der Versicherer im Falle einer (fehlerhaften) Belehrung nicht auf eine anderweitige Kenntniserlangung des Versicherungsnehmers berufen, da er anderenfalls nicht ausreichend dazu motiviert würde, seiner Verpflichtung zur zutreffenden Belehrung nachzukommen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 89 – Rust-Hackner).

Randnummer53

Auf Grundlage vorgenannter Interessenlage und des Informationszwecks hat der Gerichtshof – wie bereits ausgeführt – in den genannten Entscheidungen geklärt, dass die praktische Wirksamkeit der Lebensversicherungsrichtlinien nicht gewahrt ist, wenn ein Rücktrittsrecht trotz fehlender Belehrung spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt und wenn die Rücktrittsfrist zu laufen beginnt, obwohl der Versicherer dem Versicherungsnehmer überhaupt keine Informationen über sein Rücktrittsrecht mitgeteilt hat oder die mitgeteilten Informationen derart fehlerhaft sind, dass dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht unter im Wesentlichen denselben Bedingungen auszuüben wie bei Mitteilung zutreffender Informationen.

Randnummer54

Ob die praktische Wirksamkeit der Lebensversicherungsrichtlinien unter Berücksichtigung des Informationszwecks und vorgenannter Interessenlage demgegenüber noch gewahrt ist, wenn der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht trotz fehlerhafter Belehrung wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens verlieren kann, bleibt in den Entscheidungen des Gerichtshofs zu den Lebensversicherungsrichtlinien ebenso offen wie die Voraussetzungen, die an einen solchen Rechtsmissbrauch zu stellen wären, um die praktische Wirksamkeit noch als gewahrt anzusehen.

Randnummer55

bb) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die streitentscheidenden Fragen auch in seinen Entscheidungen außerhalb des Lebensversicherungsrechts, in denen sich vergleichbare Fragen gestellt haben, nicht erschöpfend beantwortet. Zwar existiert eine umfangreiche Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Grundsatz des Rechtsmissbrauchs. Die sich hier konkret stellenden Fragen sind indes nicht hinreichend geklärt. Jedenfalls erscheint im Hinblick auf das Urteil des Gerichtshofs vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) eine Fortentwicklung der Rechtsprechung nicht nur als entfernte Möglichkeit.

Randnummer56

(1) Im Ausgangspunkt geklärt ist, dass auch im Unionsrecht der Grundsatz des Rechtsmissbrauchs Anwendung findet. So ist nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht nicht erlaubt (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Juni 1988 – 39/86 –, juris Rn. 43 – Lair; Urteil vom 2. Mai 1996 – C-206/94 –, juris Rn. 24 ff. – Paletta; Urteil vom 12. Mai 1998 – C-367/96 –, juris Rn. 20 ff. – Kefalas; Urteil vom 23. März 2000 – C-373/97 –, juris – Diamantis; Urteil vom 21. Juli 2011 – C-186/10 –, juris Rn. 25 – Oguz; siehe auch BGH, EuGH-Vorlage vom 31. Januar 2022 – IX ZR 113/21 u.a. –, juris Rn. 58). Dies ist inzwischen als zwingender allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts anerkannt, und zwar unabhängig davon, ob die betreffenden Rechte und Vorteile ihre Grundlage in den Verträgen, in einer Verordnung oder in einer Richtlinie haben (siehe nur EuGH, Urteil vom 26. Februar 2019 – C-116/16 u.a. –, juris Rn. 70 ff., 75 – T Danmark; Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 121 – Volkswagen Bank; Knops, RabelsZ 85 [2021], 505 [527]). Deshalb ist es etwa nach den Urteilen vom 23. März 2000 (– C-373/97 –, juris – Diamantis) und vom 12. Mai 1998 (– C-367/96 –, juris Rn. 20 ff. – Kefalas) grundsätzlich zulässig, dass die nationalen Gerichte eine Bestimmung des nationalen Rechts anwenden, nach der sie prüfen dürfen, ob ein Recht aus einer unionsrechtlichen Bestimmung missbräuchlich ausgeübt wird.

Randnummer57

(2) Gerade die hier streitentscheidenden Fragen, ob ein dem Versicherungsnehmer eingeräumtes Rücktrittsrecht trotz fehlender oder fehlerhafter Belehrung wegen Rechtsmissbrauchs erlöschen kann und welche Kriterien für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs erfüllt sein müssen, können aber spätestens seit dem Urteil des Gerichtshofs vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) nicht (mehr) als erschöpfend beantwortet angesehen werden.

Randnummer58

(a) So ist hinsichtlich der Frage, welche Kriterien für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs erfüllt sein müssen, unklar, ob hierfür das Vorliegen objektiver Tatbestandsmerkmale zumindest dann ausreicht, wenn sich dies aus einer auf den Fall anwendbaren nationalen Bestimmung ergibt (so wohl Kähler, in: Gsell et al. [Hrsg.], BGB, § 242 Rn. 311 ff. [März 2022]; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 12 U 80/21 –, juris Rn. 4 ff.), oder ob stets auch ein subjektives Element erfüllt sein muss, d.h. ein nationales Rechtsmissbrauchsverbot nur insoweit angewendet werden darf, als es sich mit den unionsrechtlichen Kriterien deckt, die stets ein subjektives Element umfassen (so etwa Schwintowski, VuR 2022, 83 [88]; Knops, RabelsZ 85 [2021], 505 [507, 515, 518 ff., 528] m.w.N.; Ebers, VuR 2017, 47 [48]; OLG Rostock, Urteil vom 8. März 2022 – 4 U 51/21 –, juris Rn. 116 f.).

Randnummer59

Zunächst ist der Gerichtshof davon ausgegangen, dass die nationalen Gerichte in den Grenzen der praktischen Wirksamkeit und einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts befugt sind, das missbräuchliche Verhalten des Betroffenen auf der Grundlage objektiver Kriterien in Rechnung zu stellen, um ihm gegebenenfalls die Berufung auf die geltend gemachte Bestimmung des Gemeinschaftsrechts zu verwehren (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Juni 1988 – 39/86 –, juris Rn. 43 – Lair; Urteil vom 2. Mai 1996 – C-206/94 –, juris Rn. 25 – Paletta; Urteil vom 12. Mai 1998 – C-367/96 –, juris Rn. 20 ff. – Kefalas; Urteil vom 23. März 2000 – C-373/97 –, juris Rn. 34 – Diamantis; Urteil vom 21. Juli 2011 – C-186/10 –, juris Rn. 25 – Oguz).

Randnummer60

Soweit der Gerichtshof für die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis darüber hinaus auch das Vorliegen eines subjektiven Elements verlangte, bezog sich dies ursprünglich ausdrücklich nur auf die spezielle Frage, wann mit Unionsrecht unvereinbare Praktiken von „Wirtschaftsteilnehmern“ vorliegen (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2000 – C-110/99 –, juris Rn. 51-54 – Emsland-Stärke; Urteil vom 21. Februar 2006 – C-255/02 –, juris Rn. 68 ff. – Halifax; Urteil vom 6. April 2006 – C-456/04 –, juris Rn. 20 ff. – Agip Petroli; Urteil vom 12. September 2006 – C-196/04 –, juris Rn. 64 – Cadbury Schweppes; Urteil vom 13. März 2014 – C-155/13 –, juris Rn. 31, 33 – Sices; vgl. dazu auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Februar 2015 – 2 BvR 2437/14 –, juris Rn. 45). Dabei muss für das subjektive Element die Absicht erkennbar sein, sich einen gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden bzw. es muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass im Wesentlichen die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils bezweckt wird; demgegenüber ist das Missbrauchsverbot nicht relevant, wenn das fragliche Verhalten eine andere Erklärung haben kann als nur die Erlangung eines Vorteils (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2000 – C-110/99 –, juris Rn. 53 – Emsland-Stärke; Urteil vom 21. Februar 2006 – C-255/02 –, juris Rn. 75 – Halifax; Urteil vom 6. April 2006 – C-456/04 –, juris Rn. 23 – Agip Petroli; Urteil vom 13. März 2014 – C-155/13 –, juris Rn. 33 – Sices).

Randnummer61

Mit seinem Urteil vom 9. September 2021 zur Auslegung der – hier nicht unmittelbar einschlägigen – Verbraucherkreditrichtlinie hat der Gerichtshof nun aber ausdrücklich auch für Verbraucher entschieden, dass die Feststellung eines Missbrauchs nach unionsrechtlichen Grundsätzen neben einer Gesamtheit objektiver Umstände auch ein subjektives Element voraussetzt (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 122 – Volkswagen Bank; siehe auch OLG Rostock, Urteil vom 8. März 2022 – 4 U 51/21 –, juris Rn. 117).

Randnummer62

Da sich die entsprechenden Ausführungen des Gerichtshofs nicht spezifisch auf die Verbraucherkreditrichtlinie beziehen, sondern auf den allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts zum Rechtsmissbrauch, ist es zumindest zweifelhaft, ob einem Verbraucher in anderen Rechtsgebieten die Berufung auf durch oder auf Grund von Unionsrecht gewährte Rechte unter Anwendung einer nationalen Regelung auch ohne das Vorliegen eines subjektiven Elements wegen Rechtsmissbrauchs verwehrt werden kann (so etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 12 U 80/21 –, juris Rn. 13; dagegen etwa Ebers, VuR 2022, 203 [207]). Insoweit erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zumindest als nicht nur entfernte Möglichkeit.

Randnummer63

(b) Weiter ist seit dem Urteil des Gerichtshofs vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) auch unklar, ob ein dem Versicherungsnehmer unionsrechtlich gewährleistetes Rücktrittsrecht überhaupt wegen eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens erlöschen kann, wenn der Versicherungsnehmer nicht (ordnungsgemäß) über sein Rücktrittsrecht belehrt wurde (vgl. Schwintowski, VuR 2022, 83 [89]; Knops, RabelsZ 85 [2021], 505 [534 ff.]; OLG Rostock, Urteil vom 8. März 2022 – 4 U 51/21 –, juris Rn. 118 f. und 183 zur Verwirkung; a.A. Kähler, in: Gsell et al. [Hrsg.], BGB, § 242 Rn. 316 [März 2022], 1765.1 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 12 U 80/21 –, juris Rn. 10; siehe insgesamt dazu auch BGH, EuGH-Vorlage vom 31. Januar 2022 – IX ZR 113/21 u.a. –, juris Rn. 68). So soll im Anwendungsbereich der Verbraucherkreditrichtlinie der Kreditgeber im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher keinen Rechtsmissbrauch annehmen dürfen (und sich auch nicht auf Verwirkung berufen können), wenn eine der in der Verbraucherkreditrichtlinie vorgesehenen zwingenden Angaben weder im Kreditvertrag enthalten noch nachträglich ordnungsgemäß mitgeteilt worden ist, und dies unabhängig davon, ob der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Kenntnis hatte (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Leitsatz 7, Rn. 119 ff. – Volkswagen Bank). Zwar führt der Gerichtshof in diesem Zusammenhang aus, dass der Unternehmer dem Verbraucher bei unzureichender Belehrung auch dann keinen Missbrauch seines Widerrufsrechts vorwerfen könne, wenn zwischen Vertragsschluss und Widerruf erhebliche Zeit vergangen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 126 – Volkswagen Bank). Eine Beschränkung des Ausschlusses des Rechtsmissbrauchseinwands auf solche Fälle eines „bloßen Zeitablaufs“ ist den Ausführungen – jedenfalls in der für die Annahme eines acte éclairé erforderlichen Klarheit – indes nicht zu entnehmen (siehe auch Ebers, VuR 2022, 203 [205]; anders wohl OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 12 U 80/21 –, juris Rn. 10; vgl. dazu auch BGH, EuGH-Vorlage vom 31. Januar 2022 – IX ZR 113/21 u.a. –, juris Rn. 69).

Randnummer64

Dass ein Ausschluss des Rechtsmissbrauchseinwands bei unzureichender Belehrung auch im Anwendungsbereich der Lebensversicherungsrichtlinien gelten könnte, erscheint nicht nur als entfernte Möglichkeit (so auch Schwintowski, VuR 2022, 83 [89]; Knops, RabelsZ 85 [2021], 505 [534 ff.]; Ebers, VuR 2022, 203 [205 ff.]; OLG Rostock, Urteil vom 8. März 2022 – 4 U 51/21 –, juris Rn. 118; LG Erfurt, EuGH-Vorlage vom 30. Dezember 2021 – 8 O 1519/20 –, juris Rn. 40 f.; a.A. dagegen OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 12 U 80/21 –, juris Rn. 9 ff.). Zwar trifft es zu, dass sich Lebensversicherungs- und Verbraucherkreditverträge in wesentlicher Hinsicht voneinander unterscheiden. Allerdings hat der Gerichtshof die Unzulässigkeit des Rechtsmissbrauchseinwands zur Wahrung der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts gerade aus solchen Zielen der Verbraucherkreditrichtlinie abgeleitet, die den Zielen vergleichbar sind, die nach den Feststellungen des Gerichtshofs die Lebensversicherungsrichtlinien hinsichtlich des Rücktrittsrechts verfolgen (siehe auch Schwintowski, VuR 2022, 83 [89]; Ebers, VuR 2022, 203 [206 f.]).

Randnummer65

So soll das Widerrufsrecht im Verbraucherkreditrecht dem Zweck dienen, es dem Verbraucher zu ermöglichen, den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auszuwählen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 123 – Volkswagen Bank). Weiter soll durch die Richtlinie sichergestellt werden, dass der Verbraucher alle Informationen erhält, die erforderlich sind, um den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtungen beurteilen zu können (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 124 – Volkswagen Bank). Schließlich dient die Koppelung von Fristbeginn und der Information des Verbrauchers dem Zweck, den Kreditgeber, der die vorgesehenen Informationen nicht erteilt, zu bestrafen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 124 – Volkswagen Bank). Insoweit sollen die in den Unionsrichtlinien im Bereich des Verbraucherschutzes vorgesehenen Sanktionen den Gewerbetreibenden davon abschrecken, gegen die ihm nach den Bestimmungen dieser Richtlinien obliegenden Pflichten gegenüber dem Verbraucher zu verstoßen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 125 – Volkswagen Bank).

Randnummer66

Wie bereits ausgeführt, dienen auch die Lebensversicherungsrichtlinien Informationszwecken und dabei insbesondere dem Ziel, es dem Versicherungsnehmer zu ermöglichen, den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auszuwählen, wobei diese Wahlfreiheit gerade durch das Rücktrittsrecht abgesichert wird (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 101 f. – Rust-Hackner). Insoweit hat der Gerichtshof in dem Urteil vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris Rn. 123 – Volkswagen Bank) sogar ausdrücklich auf seine Feststellungen in dem die Lebensversicherungsrichtlinien betreffenden Urteil vom 19. Dezember 2019 (– C-355/18 u.a. –, juris – Rust-Hackner) verwiesen. Zwar hat der Gerichtshof hinsichtlich der Lebensversicherungsrichtlinien noch nicht ausdrücklich einen Sanktionszweck benannt (darauf bezieht sich OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 12 U 80/21 –, juris Rn. 12; Schubert, in: MüKo, BGB, 9. Aufl. 2022, § 242 Rn. 507). Aber er hat auch hier bereits darauf hingewiesen, dass sich der Versicherer nicht mit Erfolg auf Gründe der Rechtssicherheit berufen können soll, um einer Situation abzuhelfen, die er dadurch selbst herbeigeführt hat, dass er seiner unionsrechtlichen Obliegenheit zur Mitteilung bestimmter Informationen nicht nachgekommen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 30 – Endress; Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 69, 109 – Rust-Hackner). Außerdem hat der Gerichtshof festgestellt, der Versicherer könne sich im Falle einer fehlenden oder fehlerhaften Belehrung nicht auf eine anderweitige Kenntniserlangung des Versicherungsnehmers berufen, da er anderenfalls nicht ausreichend dazu motiviert würde, seiner Verpflichtung zur zutreffenden Belehrung nachzukommen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 89 – Rust-Hackner). Hinzu kommt, dass der Gerichtshof die Ausführungen zum Sanktionsaspekt in seinem Urteil vom 9. September 2021 nicht speziell auf die Verbraucherkreditrichtlinie bezogen hat, sondern insoweit allgemein die „in den Unionsrichtlinien im Bereich des Verbraucherschutzes vorgesehenen Sanktionen“ in Bezug genommen hat (EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 125 – Volkswagen Bank; siehe auch Schwintowski, VuR 2022, 83 [89]; OLG Rostock, Urteil vom 8. März 2022 – 4 U 51/21 –, juris Rn. 118).

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Danach erscheint es zumindest als nicht bloß entfernte Möglichkeit, dass der Gerichtshof seine diesbezüglichen Feststellungen von der Verbraucherkreditrichtlinie auf die Lebensversicherungsrichtlinien übertragen könnte.

Randnummer68

Schließlich mag es zutreffen, dass durch die Entscheidung vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) nicht abschließend geklärt ist, ob die Berufung auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Verbrauchers im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung stets ausgeschlossen ist oder unter bestimmten, zu einem bloßen Zeitmoment (siehe hierzu EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 126 – Volkswagen Bank) hinzutretenden Umständen oder etwa nach vollständiger, beidseitiger Vertragserfüllung nicht doch zulässig sein könnte (vgl. BGH, EuGH-Vorlage vom 31. Januar 2022 – IX ZR 113/21 u.a. –, juris Rn. 57, 63 ff.). Dies wäre dann zwar bezogen auf die Lebensversicherungsrichtlinien ebenso denkbar, ist durch den Gerichtshof aber gerade nicht beantwortet.

Randnummer69

2. Vor diesem Hintergrund hat das Oberlandesgericht den ihm zustehenden Beurteilungsrahmen überschritten und die Vorlagepflicht offensichtlich unhaltbar gehandhabt, da es keine tragfähige Begründung dafür gegeben hat, warum es von einer Vorlage abgesehen hat.

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a) Zwar kann eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV nicht bereits aus dem Umstand hergeleitet werden, dass dem Oberlandesgericht das Vorliegen voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen zu den hier streitentscheidenden Fragen des Unionsrechts zur Kenntnis gebracht wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2021 – C-561/19 –, juris Rn. 49 – Consorzio Italian Management – zu den daraus folgenden besonderen Sorgfaltspflichten; BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Mai 2022 – 1 BvR 2342/17 –, juris Rn. 17 zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Denn Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, des Bundesgerichtshofs oder divergierende Entscheidungen oder Vorlagebeschlüsse anderer Gerichte, die erst nach dem angegriffenen Beschluss ergangen sind, können einen Verstoß des Gerichts gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV nicht begründen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 6. Dezember 2006 – 1 BvR 2085/03 –, juris Rn. 57; Kammerbeschluss vom 24. Mai 2022 – 1 BvR 2342/17 –, juris Rn. 18 zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) und auch die Anforderungen an die Begründung des Absehens von einer Vorlage nicht verschärfen. Die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Rostock (Urteil vom 8. März 2022 – 4 U 51/21 – juris Rn. 116-118; Hinweisbeschluss vom 9. November 2021 – 4 U 51/21 –, juris Rn. 6-9) und des Landgerichts Erfurt (Vorlagebeschluss vom 30. Dezember 2021 – 8 O 1519/20 –, juris), wonach infolge des Urteils des Gerichtshofs vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur – anhand objektiver Kriterien zu bestimmenden – Rechtsmissbräuchlichkeit eines Widerspruchs im Versicherungsvertragsrecht nicht mehr festgehalten werden könne, sind nämlich erst nach dem Berufungszurückweisungsbeschluss ergangen bzw. wurden dem Oberlandesgericht Koblenz erst im Anhörungsrügeverfahren, und damit nach der Entscheidung in der Sache, vorgelegt.

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b) Allerdings ist die Begründung des Oberlandesgerichts in der angegriffenen Entscheidung – auch unter Einbeziehung der Ausführungen in dem Anhörungsrügebeschluss vom 9. Februar 2022 – nicht hinreichend tragfähig, um den Verzicht auf die Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens noch als vertretbar anzusehen.

Randnummer72

aa) Das Absehen des Oberlandesgerichts von einer Vorlage kann zunächst nicht deswegen als vertretbar angesehen werden, weil das Bundesverfassungsgericht in seinem Kammerbeschluss vom 2. Februar 2015 die Annahme des Bundesgerichtshofs, es verstoße gegen Treu und Glauben, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrags auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen, unter dem Blickwinkel des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht beanstandet hat (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Februar 2015 – 2 BvR 2437/14 –, juris Rn. 42 ff.). Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die Erwägung des Bundesgerichtshofs, die Maßstäbe für eine Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben seien in der Rechtsprechung geklärt und auch ein Verstoß gegen den Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz liege nicht vor (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 2014 – IV ZR 73/13 –, juris Rn. 32 ff.; vgl. zur stRspr des BGH auch: Beschluss vom 8. September 2021 – IV ZR 133/20 –, juris Rn. 17; Beschluss vom 3. Juni 2020 – IV ZB 9/19 –, juris Rn. 14; Beschluss vom 27. September 2017 – IV ZR 506/15 –, juris Rn. 15; Beschlüsse vom 27. Januar und 22. März 2016 – IV ZR 130/15 –, juris), als vertretbar angesehen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Februar 2015 – 2 BvR 2437/14 –, juris Rn. 43).

Randnummer73

Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht einen erkennbaren Widerspruch der Auffassung des Bundesgerichtshofs, dass ein missbräuchliches Verhalten allein auf der Grundlage objektiver Kriterien festgestellt werden könne und unredliche Absichten oder ein Verschulden insoweit nicht erforderlich seien, zur Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gerade deswegen verneint, weil der Gerichtshof ein subjektives Element nur für die Prüfung verlange, wann mit Unionsrecht unvereinbare missbräuchliche Praktiken von Wirtschaftsteilnehmern vorlägen, worum es vorliegend nicht gehe (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Februar 2015 – 2 BvR 2437/14 –, juris Rn. 45). Gerade eine solche Begrenzung des Erfordernisses des subjektiven Tatbestandsmerkmals auf die Praktiken von Wirtschaftsteilnehmern durch den Gerichtshof lässt sich aber spätestens seit dem Urteil vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) nicht mehr vertreten (siehe auch BGH, EuGH-Vorlage vom 31. Januar 2022 – IX ZR 113/21 u.a. –, juris Rn. 60; OLG Rostock, Urteil vom 8. März 2022 – 4 U 51/21 –, juris Rn. 117; Knops, RabelsZ 85 [2021], 505 [518 ff.]). Die Feststellung des Gerichtshofs, wonach ein rechtsmissbräuchliches Verhalten das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Elements voraussetzt, bezieht sich gerade auf die Prüfung, ob einem Verbraucher – hier im Verbraucherkreditrecht – die Berufung auf ein ihm garantiertes Widerrufsrecht wegen Rechtsmissbrauchs verwehrt werden darf (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 119 ff., 122 – Volkswagen Bank).

Randnummer74

Außerdem betrifft der Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Februar 2015 eine Konstellation, in der der Versicherungsnehmer vom Versicherer dem geltenden nationalen Recht entsprechend ordnungsgemäß belehrt worden war (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Februar 2015 – 2 BvR 2437/14 –, juris Rn. 47). Ausdrücklich unter dieser Prämisse hat das Bundesverfassungsgericht die Annahme des Bundesgerichtshofs, der Zweck der Dritten Richtlinie Lebensversicherung, eine genaue Belehrung des Versicherungsnehmers über sein Rücktrittsrecht vor Abschluss des Vertrages sicherzustellen, werde nicht berührt, wenn einem Versicherungsnehmer nach jahrelanger Durchführung des Vertrags die Geltendmachung eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs unter Berufung auf ein gemeinschaftsrechtswidriges Zustandekommen des Vertrags verwehrt werde, als verständlich und nicht offensichtlich unhaltbar angesehen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Februar 2015 – 2 BvR 2437/14 –, juris Rn. 47). Darüber, ob diese Annahme auch im Falle einer fehlenden (ordnungsgemäßen) Belehrung über das Rücktrittsrecht noch als vertretbar angesehen werden kann, hat das Bundesverfassungsgericht dagegen keine Aussage getroffen. Unter Berücksichtigung der Feststellungen des Gerichtshofs in seinem Urteil vom 9. September 2021, wonach der Kreditgeber im Anwendungsbereich der Verbraucherkreditrichtlinie im Hinblick auf die – mit denen der Lebensversicherungsrichtlinien vergleichbaren – Zwecke der Richtlinie im Falle der Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher keinen Rechtsmissbrauch annehmen dürfe, wenn dieser nicht ordnungsgemäß belehrt wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 119 ff. – Volkswagen Bank), können die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts auch nicht (mehr) ohne weiteres auf Fälle einer fehlenden oder unzureichenden Belehrung übertragen werden.

Randnummer75

bb) Auch der Verweis des Oberlandesgerichts auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Zulässigkeit und zu den Voraussetzungen des Einwands des Rechtsmissbrauchs im Lebensversicherungsrecht ersetzt nicht die erforderliche nachvollziehbare Begründung für ein Absehen von einer Vorlage. Dies folgt schon daraus, dass diese Rechtsprechung (siehe etwa BGH, Beschluss vom 8. September 2021 – IV ZR 133/20 –, juris Rn. 17; Beschluss vom 3. Juni 2020 – IV ZB
9/19 –, juris Rn. 14; Beschluss vom 27. September 2017 – IV ZR 506/15 –, juris Rn. 15; Beschlüsse vom 27. Januar und 22. März 2016 – IV ZR 130/15 –, juris) vor dem Urteil des Gerichtshofs vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) ergangen ist und sich daher nicht mit der Frage auseinandersetzt, ob es infolge dieser Entscheidung unionsrechtlich geboten ist, auch im Anwendungsbereich der Lebensversicherungsrichtlinien für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs neben einem objektiven auch ein subjektives Tatbestandselement zu verlangen, und dem Versicherer im Falle einer fehlerhaften Belehrung über das Widerspruchsrecht die Berufung auf den Einwand des Rechtsmissbrauchs zu verwehren. Soweit die Beklagte des Ausgangsverfahrens schließlich darauf verweist, dass der Bundesgerichtshof auch nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) weiterhin an seiner Rechtsprechung festhalte, ergibt sich aus der vorgelegten Entscheidung (BGH, Beschluss vom 17. November 2021 – IV ZR 38/21 –, n.v.) schon nicht, ob sich der Bundesgerichtshof darin mit der jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auseinandergesetzt hat.

Randnummer76

cc) Bereits deswegen begründet das Oberlandesgericht das Absehen von einer Vorlage auch nicht dadurch nachvollziehbar, dass es ausführlich eine Kommentierung zu § 242 BGB (Schubert, in: MüKo, BGB, 8. Aufl. 2019, § 242 Rn. 70 ff.) zitiert. Diese Fundstelle stammt aus dem Jahr 2019 und setzt sich ebenfalls nicht mit dem Urteil des Gerichtshofs vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) auseinander. Außerdem wird auch in der zitierten Kommentierung erläutert, dass die volle Wirksamkeit des Unionsrechts durch die Anwendung eines nationalen Rechtsmissbrauchseinwands nicht beeinträchtigt werden dürfe, insbesondere dürften die mit dem Unionsrecht verfolgten Zwecke nicht vereitelt werden. Ob diese Anforderung bezogen auf die Lebensversicherungsrichtlinien gewahrt ist, ergibt sich daraus allerdings nicht.

Randnummer77

dd) Soweit das Oberlandesgericht weiter ausführt, das Urteil des Gerichtshofs vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, ist auch dies – zumindest mit der angeführten Begründung – nicht hinreichend tragfähig.

Randnummer78

Das Oberlandesgericht verweist insoweit darauf, dass die Entscheidung zu Verbraucherkrediten ergangen sei und nicht zum Recht der Lebensversicherungen. Dies wird im Anhörungsrügebeschluss vom 9. Februar 2022 dahingehend erläutert, die Lebensversicherungsrichtlinien seien denen des Verbraucherkreditrechts nicht gleichzustellen, da es sich um vollständig verschiedene Vertragstypen handele mit unterschiedlicher Vertragsgestaltung und Zielsetzung. Auch die erforderlichen Verbraucherinformationen, die Belehrung zum Vertragswiderspruch, dessen Voraussetzungen und die Folgen einer Vertragsrückabwicklung unterschieden sich.

Randnummer79

Dadurch wird das Absehen von der Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens aber bereits deswegen nicht nachvollziehbar begründet, weil die streitentscheidenden Fragen in der zu den Lebensversicherungsrichtlinien ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs gerade nicht abschließend geklärt sind. Stützt sich die Annahme des Oberlandesgerichts, die Rechtslage sei geklärt, insoweit aber – stillschweigend, denn das Oberlandesgericht nennt außer den Urteilen vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) und vom 19. Dezember 2019 (– C-355/18 u.a. –, juris – Rust-Hackner) keine einzige Entscheidung des Gerichtshofs – auf Rechtsprechung des Gerichtshofs aus anderen Rechtsgebieten, ist nicht nachvollziehbar, warum die Entscheidung vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) gänzlich außer Betracht zu bleiben hätte. Dies ist auch deswegen nicht verständlich, weil die Zwecke der Lebensversicherungsrichtlinien und der Verbraucherkreditrichtlinie – wie bereits ausgeführt – wesentliche Gemeinsamkeiten aufweisen. Gerade auf diese Zwecke kommt es aber für die entscheidende Beurteilung an, ob infolge der mit der nationalen Anwendung des Rechtsmissbrauchseinwands verbundenen Einschränkungen des Rücktrittsrechts die praktische Wirksamkeit der Richtlinie noch gewahrt ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 22 f. – Endress; Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 62 – Rust-Hackner; siehe auch Knops, RabelsZ 85 [2021], 505 [525]). Dass das Oberlandesgericht auf die Gemeinsamkeiten der Zweckbestimmungen der unterschiedlichen Vertragslösungsrechte nicht eingegangen ist, erscheint auch deshalb nicht nachvollziehbar, da der Gerichtshof in seinem Urteil vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) selbst eine solche Parallele gezogen hat, indem er auf seine Feststellungen zu den Zielsetzungen der Lebensversicherungsrichtlinien in dem Urteil vom 19. Dezember 2019 (– C-355/18 u.a. –, juris – Rust-Hackner) verwiesen hat (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-33/20 u.a. –, juris Rn. 123 – Volkswagen Bank). Vor diesem Hintergrund geben die Ausführungen des Oberlandesgerichts zu den Unterschieden der Vertragsgestaltungen von Lebensversicherungs- und Verbraucherkreditverträgen keine tragfähige Begründung für die gerichtliche Handhabung der Vorlagepflicht. Auch die Feststellung, beide Vertragstypen wiesen lediglich die Gemeinsamkeit auf, dass ein Verbraucher an ihnen beteiligt sei, ist insoweit nicht nachvollziehbar.

Randnummer80

Ob dagegen eine Argumentation, die beispielsweise an dem unterschiedlichen Harmonisierungsgrad der betroffenen Richtlinienvorgaben angesetzt hätte (so etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 12 U 80/21 –, juris Rn. 13; dagegen Ebers, VuR 2022, 203 [207]), zumindest vertretbar im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV gewesen wäre, bedarf keiner Entscheidung, da das Oberlandesgericht darauf nicht abgestellt hat.

Randnummer81

ee) Soweit das Oberlandesgericht in seiner weiteren Argumentation auf den Sinn der Lebensversicherungsrichtlinien eingeht, ergibt sich auch daraus keine vertretbare Begründung für das Absehen von einer Vorlage. Denn es bildet die hier betroffenen Ziele der Lebensversicherungsrichtlinien, wie sie vom Gerichtshof der Europäischen Union bereits ausdrücklich festgestellt wurden, nur unzureichend ab. Das Oberlandesgericht führt insoweit aus, es sei Sinn der Lebensversicherungs-richtlinien, dem Verbraucher nach Vertragsschluss durch ein grundsätzlich unbefristetes Lösungsrecht vom Vertrag noch eine genaue Prüfung der übernommenen Pflichten sowie einen Vergleich mit anderen Produkten anderer Anbieter am Lebensversicherungsmarkt zu ermöglichen und dieser Zweck werde durch die Anwendung des Rechtsmissbrauchseinwands nicht gefährdet, zumal vorliegend eine – wenn auch möglicherweise nicht ordnungsgemäße – Belehrung vorgelegen habe. Allerdings hat der Gerichthof bereits ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Lebensversicherungsrichtlinien gerade auch bezweckten, dass mit ihnen sichergestellt werden soll, dass der Versicherungsnehmer insbesondere über sein Rücktrittsrecht zutreffend belehrt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 71, 87 – Rust-Hackner; Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 25 – Endress). Bezugnehmend auf diesen Zweck und unter der Prämisse einer ordnungsgemäßen Belehrung des Versicherungsnehmers hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Kammerbeschluss vom 2. Februar 2015 (– 2 BvR 2437/14 –, juris Rn. 47) die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unbeanstandet gelassen. Denn gerade durch das Rücktrittsrecht und die zutreffende Belehrung hierüber wird die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers abgesichert (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 101 f. – Rust-Hackner). Außerdem hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass sich der Versicherer nicht mit Erfolg auf Gründe der Rechtssicherheit berufen können soll, um einer Situation abzuhelfen, die er dadurch selbst herbeigeführt hat, dass er seiner unionsrechtlichen Obliegenheit zur Mitteilung bestimmter Informationen nicht nachgekommen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris Rn. 30 – Endress; Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 69, 109 – Rust-Hackner) und dass sich der Versicherer im Falle einer (fehlerhaften) Belehrung nicht auf eine anderweitige Kenntniserlangung des Versicherungsnehmers berufen können soll, da er anderenfalls nicht ausreichend dazu motiviert würde, seiner Verpflichtung zur zutreffenden Belehrung nachzukommen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 u.a. –, juris Rn. 89 – Rust-Hackner). Auch mit diesen Aspekten hat sich das Oberlandesgericht indes nicht auseinandergesetzt.

Randnummer82

ff) Ebenso lässt der Verweis des Oberlandesgerichts auf die Entscheidung des Gerichtshofs vom 19. Dezember 2019 (– C-355/18 u.a. –, juris – Rust-Hackner) das Absehen von einer Vorlage nicht als vertretbar erscheinen. Der Gerichtshof hat darin die streitentscheidenden Fragen – wie bereits ausgeführt – nicht geklärt. Anderes folgt insbesondere nicht aus der vom Oberlandesgericht in Bezug genommenen Feststellung des Gerichtshofs, dass Fehler bei den mitgeteilten Informationen, die dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit des Rücktritts nehmen, dem Anlaufen der Widerspruchsfrist unter Umständen nicht entgegenstünden. Das Oberlandesgericht hat nämlich nicht geprüft, ob das hier der Fall gewesen ist. Gerade auf diesen Aspekt bezog sich aber die vom Oberlandesgericht herangezogene Feststellung des Gerichtshofs in seinem Urteil vom 19. Dezember 2019 (– C-355/18 u.a. –, juris Rn. 78 f., 81 – Rust-Hackner), wonach im Bereich der Lebensversicherungsrichtlinien die nationalen Gerichte ihre Prüfung an einer Gesamtwürdigung auszurichten hätten, bei der insbesondere dem nationalen Rechtsrahmen und den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen sei.

Randnummer83

c) Schließlich wird die Handhabung der Vorlagepflicht in der angegriffenen Entscheidung nicht dadurch vertretbar, dass infolge des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 9. September 2021 (– C-33/20 u.a. –, juris – Volkswagen Bank) auch andere Oberlandesgerichte von der Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahren zur Beantwortung der hier streitgegenständlichen unionsrechtlichen Fragestellungen durch den Gerichtshof abgesehen haben (siehe etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 12 U 80/21 –, juris; Urteil vom 27. Januar 2022 – 25 U 107/21 –, n.v.; OLG Hamm, Urteil vom 22. September 2021 – 20 U 121/19 –, juris Rn. 36 ff.; sowie OLG Stuttgart, Hinweisbeschluss vom 10. Januar 2022 – 7 U 411/21 –, n.v.; Saarl. OLG, Urteil vom 29. April 2022 – 5 U 24/21 –, n.v.). Dies wirkt sich bereits deswegen nicht auf die verfassungsrechtliche Beurteilung aus, da es vorliegend an einer vertretbaren Begründung für das Absehen von einer Vorlage fehlt.

Randnummer84

3. Verstoßen die angegriffenen Entscheidungen bereits gegen Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 LV, bedarf es keiner Entscheidung, ob zugleich auch der vom Beschwerdeführer gerügte allgemeine Justizgewährleistungsanspruch verletzt ist.

D.

Randnummer85

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 2. November 2021 ist hiernach gemäß § 49 Abs. 3 VerfGHG aufzuheben. Die Sache ist an das Oberlandesgericht Koblenz zurückzuverweisen. Der ebenfalls angegriffene Beschluss vom 9. Februar 2022 wird damit gegenstandslos.

Randnummer86

Das Verfahren ist gemäß § 21 Abs. 1 VerfGHG kostenfrei.

Randnummer87

Die Anordnung der Auslagenerstattung zugunsten des Beschwerdeführers folgt aus § 21a Abs. 1 Satz 1 VerfGHG.

Randnummer88

Die Festsetzung des Gegenstandswertes folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes – RVG –. Dieser ist in Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Verfassungsgericht eines Landes unter Berücksichtigung der in § 14 Abs. 1 RVG genannten Kriterien – Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers – nach billigem Ermessen zu bestimmten; er beträgt mindestens 5.000,00 €.

Randnummer89

In der verfassungsgerichtlichen Praxis ist für das Verfassungsbeschwerdeverfahren anerkannt, dass sich Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Bewertungskriterien sowie deren Verhältnis zueinander und damit der Gegenstandswert vorrangig nach der subjektiven Bedeutung des Verfahrens für den Beschwerdeführer richten, einschließlich der weiteren Auswirkungen auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse, seine Stellung und sein Ansehen. Zu berücksichtigen ist auch die objektive Bedeutung der Sache, wobei diese, wenn sie neben dem subjektiven Interesse eigenständiges Gewicht hat, zu einer Erhöhung und Vervielfachung des Ausgangswertes führt. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit wirken sich nur dann werterhöhend aus, wenn sie über den Aufwand hinausgehen, welcher der Bedeutung der Sache entspricht. Die Vermögens- und Einkommensverhältnisse dienen nur der Korrektur des danach gefundenen Ergebnisses unter sozialen Aspekten (vgl. VerfGH RP, Beschluss vom 20. August 2014 – VGH B 16/14 –, AS 43, 45 f.; Beschluss vom 20. Oktober 2014 – VGH A 17/14 –, AS 43, 92 f.; Beschluss vom 27. Oktober 2017 – VGH N 2/15 –, juris Rn. 3; Beschluss vom 16. April 2020 – VGH B 19/19 –, BeckRS 2020, 7535; vgl. auch entsprechend BVerfG, Beschluss vom 28. Februar 1989 – 1 BvR 1291/85 –, BVerfGE 79, 365 [366 ff.]).

Randnummer90

Daran gemessen ist der Gegenstandswert der Tätigkeit der Bevollmächtigten des Beschwerdeführers mit 17.319,51 € zu bemessen. Das subjektive Interesse des Beschwerdeführers an dem Verfassungsbeschwerdeverfahren ergibt sich aus seiner Klageforderung in Höhe von 17.319,51 € und ist mit diesem Betrag ausreichend erfasst.

OLG Saarbrücken - Annuitäten müssen angegeben werden

Das Saarländische Oberlandesgericht hat mit Urteil vom 22.04.2021 (Az.: 4 U 27/20) einer Klage auf Widerruf eines endfälligen Darlehensvertrages stattgegeben. Im Darlehensvertrag hatte die Bank die Höhe der monatlichen Annuitäten nicht angegeben. Besonderheit des Falles war außerdem, dass der Widerruf einen Tag nach Ablösung des Darlehensvertrages erklärt wurde. 

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Die Parteien schlossen im Juli 2013 einen Darlehensvertrag über 50.000 € zur Finanzierung einer Immobilie. Das durch eine Grundschuld besicherte Darlehen war zu einem Zinssatz von 2,85 % (effektiv 2,95 %) p.a. am 15.8.2023 vollständig zurückzuzahlen, wobei die Rückzahlung durch die Zuteilung eines Bausparvertrags Nr. ~5 der Bausparkasse S. erfolgen sollte.

 

Unter Ziffer 3.1 des Vertrags heißt es: 

 

"Sollzinssatz: Das Darlehen ist ab dem Tag der Auszahlung mit 2,85 % jährlich zu verzinsen. Dieser Sollzinssatz ist gebunden bis zum Ende der Vertragslaufzeit. Die Soll-Zinsen werden aus dem jeweiligen Darlehenssaldo berechnet. Die Soll-Zinsen sind fällig am Ultimo eines jeden Monats."

 

Weiterhin wird in Ziffer 3.2 des Vertrags ("Kosten, Nebenleistungen, Nettodarlehensbetrag") der Nettodarlehensbetrag von 50.000 €, eine Abschlussgebühr für den Bausparvertrag in Höhe von 500 € sowie ein Betrag für "Bausparen (Summe 50.000 €; monatlich 216 €" genannt.

 

Unter Ziffer 4 - Darlehensrückzahlung und Laufzeit - heißt es:

 

"Das Darlehen ist wie folgt zurückzuzahlen: In voller Höhe am 15.8.2023 (i.e.S.d. Zuteilung BSV ~5 der BSH). Daneben sind die Soll-Zinsen zu den vereinbarten Zinsfälligkeitsterminen zu zahlen."

 

Bestandteil des Darlehensvertrags ist unter Ziffer 11 eine Widerrufsinformation, auf deren Inhalt im Einzelnen Bezug genommen wird.

 

Die Kläger zahlten in der Folgezeit monatlich an die Bausparkasse S. die im Darlehensvertrag genannte, auf den Bausparvertrag entfallende Prämie von 216 € sowie an die Beklagte einen weiteren Betrag von 118,75 € auf das Darlehen.

 

Im Herbst 2018 veräußerten die Kläger die finanzierte Immobilie und lösten das Darlehen am 2.11.2018 unter Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 5.962,50 € ab. Sie erklärten mit Schreiben vom 3.11.2018 (Anlage K 7, Bl. 63 d.A.) den Widerruf ihrer auf Abschluss des Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärungen. Die Beklagte wies den Widerruf zurück. Die Prozessbevollmächtigten der Kläger forderten die Beklagte mit Schreiben vom 11.1.2019 (Bl. 68 ff. d.A.) unter Fristsetzung zum 31.1.2019 vergeblich zur Zahlung eines Gesamtbetrages von 6.287,50 € auf (5.962,50 € Vorfälligkeitsentgelt und 325 € Nutzungsersatz) auf (Anlage K 13, Bl. 68 ff. d.A.).

 

Zur Finanzierung der Immobilie hatten die Kläger mit der früheren Beklagten zu 2, der Bausparkasse S. AG, ebenfalls im Juli 2013 noch zwei weitere Darlehensverträge über jeweils 80.000 € geschlossen (Anlage 2 und 3, Bl. 26 ff. d.A.). Auch diese beiden Darlehen wurden zeitgleich mit dem hier streitgegenständlichen Kredit jeweils gegen Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung abgelöst. Die Kläger haben ihre dahingehenden Vertragserklärungen ebenfalls am 3.11.2018 widerrufen (Bl. 64 f. d.A.). Mit dem ursprünglichen Klageantrag zu 2 haben die Kläger von der Beklagten zu 2 Rückzahlung der diesbezüglich gezahlten Vorfälligkeitsentschädigungen verlangt. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 16.5.2019 (Bl. 231 f. d.A.) das Verfahren gegen die Beklagte zu 2 gemäß § 145 ZPO unter Hinweis auf seine fehlende örtliche Zuständigkeit abgetrennt.

 

Die Kläger haben die Auffassung vertreten, sie hätten wegen inhaltlicher Fehler der Widerrufsinformation ihre Vertragserklärungen zu dem streitgegenständlichen Darlehensvertrag Nr. ~3 noch im Jahr 2018 widerrufen können.

 

Die Widerrufsinformation sei deshalb fehlerhaft, weil sie hinsichtlich des Anlaufs der Widerrufsfrist eine Kaskadenverweisung enthalte, über deren Europarechtskonformität der Europäische Gerichtshof in dem aktuell dort geführten Vorlageverfahren (Aktenzeichen des Landgerichts Saarbrücken: 1 O 164/18) zu entscheiden habe (Bl. 245 d.A.). Ein weiterer inhaltlicher Fehler liege darin, dass in Ziffer 24 der Allgemeinen Bedingungen für Kredite und Darlehen (ABKD) die Regelung des § 193 BGB abbedungen worden sei, wodurch die Widerrufsfrist verkürzt werde (Bl. 22 d.A.). Fehlerhaft werde außerdem in der Widerrufsinformation unter "Widerrufsfolgen" auf eine angebliche Pflicht zum Ersatz nicht näher bezifferter Aufwendungen gegenüber öffentlichen Stellen hingewiesen (Bl. 18 d.A.). Schließlich enthalte die Widerrufsinformation fehlerhafte Angaben zu den Rechtsfolgen eines Widerrufs der - zudem unklar definierten - Zusatzleistung Bausparen. Gegenüber dem Darlehensnehmer werde der unzutreffende Eindruck erweckt, der Widerruf eines Bausparvertrages führe dazu, dass damit auch der Darlehensvertrag mit der Beklagten zu 1 nicht mehr bindend sei (Bl. 10 f., 244 f. d.A.).

 

Die Kläger haben beantragt,

 

die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 6.287,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.2.2019 zu zahlen.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Die Beklagte hat die Widerrufsinformation für ordnungsgemäß und den Widerruf der Kläger dementsprechend für verfristet gehalten. Der Bundesgerichtshof habe bereits entschieden, dass die Abbedingung des § 193 BGB nicht zur Unwirksamkeit der Widerrufsinformation führe (Beschluss vom 3.7.2018 - XI ZR 758/17). Gleiches gelte für den Hinweis auf eine mögliche Ersatzpflicht von Aufwendungen gegenüber öffentlichen Stellen (z.B. BGH XI ZR 66/16, XI ZR 467/15, XI ZR 99716, XI ZR 482/15 u.a.). Entgegen der Auffassung der Kläger stelle die Belehrung über die Zusatzleistung des Bausparvertrages keineswegs eine Abweichung vom gesetzlichen Muster dar. Bei dieser Zusatzleistung, über die die Beklagte korrekt belehrt habe, stünden den Klägern sogar mehr Rechte zu, als dies nach der Gesetzeslage der Fall wäre, weil bei Widerruf des Darlehensvertrages zugunsten der Kläger auch der Bausparvertrag beendet wäre und die Kläger somit nicht mit möglichen Verpflichtungen konfrontiert wären, die in ihrer Gesamtfinanzierung keinen Sinn mehr hätten. Der erklärte Widerruf habe somit nicht wirksam zu einem Rückabwicklungsverhältnis geführt, weshalb den Klägern die geltend gemachten Zahlungsansprüche nicht zustünden.

 

Mit dem am 13.3.2020 verkündeten Urteil (Bl. 255 ff. d. A.) hat das Landgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Der Senat nimmt gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil Bezug.

 

Dagegen haben die Kläger Berufung eingelegt, mit der sie ihren erstinstanzlichen Klageantrag in vollem Umfang weiterverfolgen. Das Landgericht sei zu Unrecht von der Rechtmäßigkeit der von der Beklagten verwendeten Widerrufsinformation ausgegangen. Es habe den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Es habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 26.3.2020, Az. C-66/19) eine Widerrufsinformation wie die vorliegende aufgrund der für den Beginn der Widerrufsfrist angegebenen Kaskadenverweisung nicht hinreichend klar und prägnant sei. Das Landgericht habe die Auffassung vertreten, dass sich die Beklagte auf die sog. Gesetzlichkeitsfiktion berufen könne. Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei die Widerrufsinformation allerdings nicht hinreichend deutlich hervorgehoben. Sie sei vielmehr im Darlehensvertrag unter einer fortlaufenden Vertragsziffer 11 geführt; eine gegenüber anderen Vertragstexten besondere optische Hervorhebung sei nicht erfolgt, und auch Schriftart und Größe unterschieden sich nicht vom übrigen Vertragstext. Die bloße Umrahmung genüge nicht, zumal eine Passage im Folgetext zusätzlich in Fettdruck umrahmt worden sei. Dieser Umstand lasse die Gesetzlichkeitsfiktion entfallen, so dass die vom EuGH gerügte Unwirksamkeit der Widerrufsinformation durch die Kaskadenverweisung zum Tragen komme.

 

Ferner habe es die Beklagte pflichtwidrig unterlassen, die gesetzlichen Pflichtangaben korrekt zu benennen. Sie habe versäumt, im Darlehensvertrag die erforderlichen Angaben zu den geschuldeten monatlichen Ratenzahlungen anzugeben. Zwar habe das Darlehen bei Eintritt der Zuteilungsreife durch einen Bausparvertrag abgelöst und getilgt werden sollen. Die Kläger seien jedoch gleichwohl zur Zahlung von Zinsen verpflichtet gewesen. Gemäß Art. 247 § 3 Nr. 7 EGBGB seien Betrag, Zahl und Fälligkeit der einzelnen Teilzahlungen anzugeben. Betrag und Zahl der Raten, die jeweils zum Ultimo eines Monats fällig sein sollen, habe die Beklagte jedoch nicht benannt. Auch vor diesem Hintergrund habe die Widerrufsfrist nicht zu laufen begonnen und sei der im Jahr 2018 erklärte Widerruf wirksam gewesen.

 

Die Kläger beantragen,

 

unter Abänderung des am 13.3.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts Saarbrücken (Az. 1 O 93/19) die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 6.287,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.2.2019 zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Der Vorwurf der Verletzung rechtlichen Gehörs sei unsubstantiiert. Die Klägerseite interpretiere die Auswirkungen des EuGH-Urteils vom 26.3.2020 falsch.

 

Auch seien die gesetzlichen Pflichtangaben korrekt benannt. Vorliegend handele es sich um ein Tilgungsaussetzungsdarlehen, welches mit einem Tilgungsersatzinstrument, nämlich dem parallel von den Klägern zu bedienenden Bausparvertrag verknüpft worden sei. Der Kreditvertrag mit der Beklagten und der Bausparvertrag mit der Bausparkasse seien insoweit miteinander verbunden, als es sich bei dem Bausparvertrag um einen Vertrag über eine Zusatzleistung handele.

 

Die Beklagte sei vor diesem Hintergrund nicht gemäß Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 7 EGBGB verpflichtet gewesen, die zu zahlenden monatlichen Zinsen als monatliche Rate im Darlehensvertrag zu nennen. Mit der Fälligkeit der einzelnen Teilzahlungen nach Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 7 EGBGB seien nämlich nur monatliche Ratenzahlungen unter gleichzeitigem Einschluss eines Tilgungsanteiles gemeint. Der Begriff der Rate könne schon begrifflich nur in diesem Sinne verstanden werden. Diese Auffassung sei mittlerweile auch in Literatur und Rechtsprechung bestätigt worden. Die vertraglichen Regelungen seien transparent und verständlich. Dass die Kläger für die Zurverfügungstellung des Kapitals monatliche Zinsen in bestimmten Abständen zu zahlen hatten, ergebe sich aus dem Text und der Natur des Darlehensvertrages. Bei einem endfälligen Darlehen, in dem lediglich Zinsraten während der Laufzeit zu erbringen seien, bestehe keine Angabepflicht nach Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 7 EGBGB, eben weil es an "Teilzahlungen" fehle. Da mit dem Bausparvertrag ein weiterer Vertrag mit einer Zusatzleistung vorliege, richteten die Informationspflichten sich nach Art. 247 § 8 EGBGB, wonach die Zeiträume und Bedingungen für die Zahlung der Sollzinsen und der damit verbundenen wiederkehrenden und nicht wiederkehrenden Kosten im Vertrag anzugeben seien, wenn die vom Darlehensnehmer geleisteten Zahlungen nicht der unmittelbaren Darlehenstilgung dienten. Im vorliegenden Fall seien also die Prämienzahlungen für dieses als Teilzahlungen im Sinne des Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 7 EGBGB anzusehen, soweit die Ansparleistungen durch wiederholte Prämienzahlungen und nicht durch einen kreditfinanzierten Einmalbetrag erfolgt seien. Da im vorliegenden Fall unstreitig eine monatliche Rate von 216 € auf den Bausparvertrag zu zahlen gewesen sei bei einem Zinssatz von 2,85 % p.a., werde auch in dieser Konstellation klar, dass der rechnerische Zinsbetrag auf den Darlehensbetrag von 50.000 € nicht explizit als Zahl genannt werden müsse. Durch die klaren Angaben im Vertrag sei die Höhe des monatlichen Zinsbetrags eindeutig zu errechnen und betrage 50.000 € x 2,85 % p.a. / 12 Monate = 118,75 €. Exakt dieser Betrag finde sich auch wieder im Zins- und Tilgungsplan, der den Klägern ausgehändigt worden sei.

Da unter Ziffer 4 des Darlehensvertrags vereinbart worden sei, dass die Darlehensrückzahlung "im engeren Sinne durch Zuteilung eines Bausparvertrags" unter der dort genannten Nummer erfolgen solle, der bis zum 15.8.2013 laufe, und die Darlehenslaufzeit exakt auf den gleichen Zeitraum vereinbart worden sei, liege der Ausnahmefall des Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 3 EGBGB vor, wonach abweichend von § 3 Abs. 1 Nr. 7 die Anzahl der Teilleistungen nicht anzugeben sei, wenn die Laufzeit des Darlehensvertrags von dem Zeitpunkt der Zuteilung eines Bausparvertrags abhänge.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschrift des Landgerichts vom 28.2.2020 (Bl. 253 f. d. A.) und des Senats vom 25.3.2021 (Bl. 329 ff. d. A.) Bezug genommen.

Das Oberlandesgericht begründete das Urteil wie folgt:

 

Die Berufung der Kläger ist nach den §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist mithin zulässig. Das Rechtsmittel ist nach Maßgabe der §§ 513, 529, 546 ZPO auch begründet. Die Kläger konnten ihre Vertragserklärungen zu dem streitgegenständlichen Darlehensvertrag Nr. ~3 im November 2018 noch wirksam widerrufen, weil die Widerrufsfrist zu diesem Zeitpunkt mangels ordnungsgemäßer Widerrufsinformation noch nicht abgelaufen war:

 

1. Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass den Klägern bei Abschluss des Darlehensvertrags im Juli 2013 ein Widerrufsrecht nach Maßgabe des § 495 Abs. 1 BGB i.V.m. § 355 BGB in der zwischen dem 11.6.2010 und dem 12.6.2014 geltenden Fassung zugestanden hat. Das Anlaufen der Widerrufsfrist war gem. § 495 Abs. 2 Satz 1 BGB in der zwischen dem 30.7.2010 und dem 12.6.2014 geltenden Fassung (Art. 229 § 32 Abs. 1, §§ 38, 40 EGBGB) davon abhängig, dass die Kläger die Pflichtangaben zum Widerrufsrecht nach Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB und die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB in der seit dem 30.7.2010 geltenden Fassung erhielten. Zu diesen Pflichtangaben gehörte nach § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 1 und 2 EGBGB und Art. 247 § 9 Abs. 1 S. 1 und 3 EGBGB auch die Erteilung einer wirksamen Widerrufsinformation (BGH, Urteil vom 22.11.2016 - XI ZR 434/15, NJW 2017, 1306).

 

2. Entgegen der Berufungsbegründung ist auch die Annahme des Landgerichts nicht zu beanstanden, dass sich die Beklagte gemäß Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB a.F. auf die gesetzliche Schutzwirkung der Musterwiderrufsinformation berufen könne.

 

a) Die Widerrufsinformation der Beklagten genügt den Anforderungen des Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 1 und 2 EGBGB a.F. Sie ist in hervorgehobener und deutlicher Form gestaltet, da der sich auf der dritten Seite der Vertragsurkunde befindliche Text durch Umrahmung von den übrigen vertraglichen Regelungen abgesetzt und darüber hinaus durch Verwendung von Zwischenüberschriften (Widerrufsrecht, Widerrufsfolgen) und einer weiteren Umrahmung innerhalb der Widerrufsinformation übersichtlich gestaltet ist. Drei "Binnenkästen" kennzeichnen die Adresse des Widerrufsempfängers sowie den bei vollständiger Inanspruchnahme des Darlehens und Widerruf täglich fällig werdenden Zinsbetrag und den Hinweis auf die Rechtsfolgen des Widerrufs für den Bausparvertrag als besonders wichtige Informationen. Ein situationsadäquat aufmerksamer Verbraucher kann eine so gestaltete Widerrufsbelehrung nicht übersehen. Der Einwand der Berufung, die Widerrufsinformation sei lediglich unter einer fortlaufenden Vertragsziffer 11 geführt, verfängt daher nicht. Die Anforderungen an eine deutlich gestaltete Form können etwa auch durch Fettdruck oder Umrahmung erfüllt werden, ohne dass die Widerrufsinformation ein Alleinstellungsmerkmal erfüllen müsste (Gerlach/Kuhle/Scharm in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reimann, BGB, Stand: 15.8.2020, Art. 247 § 6 EGBGB, Rn. 32). Dem Wortlaut des Art. 247 § 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 und 2 EGBGB kann ein solches Erfordernis nicht entnommen werden; dort wird lediglich gefordert, dass bestimmte Pflichtangaben "klar und verständlich" sein müssen; dies kann eine Information jedoch ohne weiteres auch ohne grafische Hervorhebung sein (BGH, Urteil vom 23.2.2016 - XI ZR 101/15, NJW 2016, 1881; Senat, Urteile vom 17.5.2018 - 4 U 22/17, n.v., und vom 6.12.2018 - 4 U 82/17, n.v.). Eine von der Berufung für erforderlich gehaltene weitergehende besondere optische Hervorhebung gegenüber dem übrigen Vertragstext - etwa durch die Verwendung einer anderen Schriftart und -größe - ist damit nicht erforderlich.

 

b) Die Beklagte hat ferner das gesetzliche Muster ordnungsgemäß verwendet und insbesondere die nach § 359a Abs. 2 BGB a.F. geforderten Gestaltungshinweise umgesetzt. Bei dem Bausparvertrag handelte es sich um einen Vertrag über eine Zusatzleistung, die der Verbraucher in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Darlehensvertrag geschlossen hat (vgl. Habersack, Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, § 359a Rn. 13). Wie das Landgericht zutreffend und von der Berufung insoweit unangegriffen ausgeführt hat, verunklarte die Bezeichnung "Bausparen" die Widerrufsinformation nicht, nachdem vorliegend nur ein einziger Bausparvertrag abgeschlossen wurde und dieser zudem in dem Vertragsformular konkret bezeichnet war.

 

c) Ebenfalls ist es unschädlich, dass in dem Unterabschnitt "Widerrufsfolgen" darüber belehrt worden ist, dass der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber auch die Aufwendungen zu ersetzen hat, die der Darlehensgeber gegenüber öffentlichen Stellen erbracht hat und nicht zurückverlangen kann (Bl. 18 d.A.).

 

aa) Die Umsetzung dieses Gestaltungshinweises setzt nicht voraus, dass der Darlehensgeber solche Aufwendungen tatsächlich erbracht hat. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses steht noch nicht sicher fest, ob und welche Aufwendungen der Darlehensgeber zu tätigen haben wird. Der Hinweis darf deshalb auch dann erteilt werden, wenn noch gar nicht feststeht, ob ein Erstattungsanspruch des Darlehensgebers besteht. Das entspricht dem Zweck des Gestaltungshinweises nach der Gesetzesbegründung. Danach soll der Verbraucher darüber informiert werden, dass dem Darlehensgeber ein Erstattungsanspruch zustehen kann (BT-Drucks. 17/1394 S. 29). Deshalb darf der Darlehensgeber den Hinweis vorsorglich einfügen, um sich mögliche Erstattungsansprüche vorzubehalten (Senat, Urteil vom 17.5.2018 - 4 U 22/17, n.v.; OLG München, Urteil vom 9.11.2017 - 14 U 465/17, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2018 - 16 U 11/18, juris Rn. 19; OLG Stuttgart, Beschluss vom 5.4.2020 - 6 U 182/19, juris 26).bb) Unabhängig von der Gesetzlichkeitsfiktion ist der Hinweis zur Erstattungspflicht hinsichtlich etwaiger Aufwendungen der Beklagten gegenüber öffentlichen Stellen auch nicht zu beanstanden, weil damit lediglich die Regelung in § 495 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB wiedergegeben wird, mit der Artikel 14 Absatz 3 b der Verbraucherkreditrichtlinie umgesetzt wurde (BT-Drucks. 16/11643 S. 83). Dieser Zusatz beeinträchtigt die Klarheit und Verständlichkeit der Information unabhängig davon nicht, ob der Darlehensgeber tatsächlich Aufwendungen gegenüber öffentlichen Stellen erbracht hat (BGH, Beschluss vom 24.4.2018 - XI ZR 573/17 -, juris). Dies stellt die Berufungsbegründung auch nicht infrage.

 

d) Schließlich entfällt der Musterschutz auch nicht dadurch, dass in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten die Vorschrift des § 193 BGB abbedungen ist; auch die Ordnungsgemäßheit einer Widerrufsinformation wird dadurch nicht berührt (Senat, Urteil vom 20.2.2020 - 4 U 58/18; BGH, Beschluss vom 3.7.2018 - XI ZR 758/17). Auch dies wird im Berufungsverfahren nicht mehr angezweifelt.

 

3. Da die Beklagte sich somit auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen kann, können die Kläger auch nicht das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 26.3.2020 (C-66/19) für sich fruchtbar machen, wonach eine Widerrufsinformation aufgrund der für den Beginn der Widerrufsfrist angegebenen Kaskadenverweisung keinesfalls hinreichend klar und prägnant sei und somit auch nicht mit der maßgeblichen EU-Richtlinie 2008/48 über Verbraucherkredite im Einklang stehe.

 

a) Nach der durch den Senat geteilten einhelligen Auffassung in Literatur und Rechtsprechung (vgl. Senat, Urteile vom 30.6.2020 - 4 U 70/18, juris; vom 22.10.2020 - 4 U 10/20, n.v. und vom 28.1.2021 - 4 U 7/20, juris) ist eine richtlinienkonforme Auslegung des Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB, der die Widerrufsinformation bei Verwendung der Musterinformation für ordnungsgemäß erklärt, nicht möglich. Dem stehen die klare gesetzliche Anordnung und das Verbot einer Entscheidung contra legem entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 31.3.2020 - XI ZR 198/19; OLG München, Beschluss vom 30.3.2020 - 32 U 5462/19; OLG Stuttgart, Beschluss vom 5.4.2020 - 6 U 182/19; OLG Stuttgart, Urteil vom 26.5.2020, 6 U 448/19; alle zitiert nach juris; Herresthal, ZIP 2020, 745; Hölldampf, WM 2020, 907; Knoll/Nordholtz, NJW 2020, 1407). Der Gesetzgeber hat den Verweis auf § 492 Abs. 2 BGB (und die Verwendung von Beispielsangaben) mit Gesetzesrang als klare und prägnante Angabe bezüglich des Beginns der Widerrufsfrist vorgegeben; die Regelung in Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB, wonach eine Widerrufsinformation, die den Text des Musters verwendet, dem Gesetz entspricht, ist eindeutig und bietet keinen Auslegungsspielraum. Um der Entscheidung des EuGH uneingeschränkte Geltung zu verschaffen, müssten die Gerichte daher gegen den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers sowie gegen Wortlaut sowie Sinn und Zweck des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB urteilen, woran sie durch das in Art. 20 Abs. 3 GG enthaltene Rechtsstaatsprinzip gehindert sind (vgl. BGH, Beschluss vom 31.3.2020 - XI ZR 198/19, juris). Die Auslegung des nationalen Rechts darf nicht dazu führen, dass einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Norm ein entgegengesetzter Sinn gegeben oder der normative Gehalt der Norm grundlegend neu bestimmt wird. Das Ziel des Gesetzgebers, durch Verwendung des vorgegebenen Musters Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu erreichen, würde verfehlt, wenn diesem die angeordnete Gesetzlichkeitsfiktion genommen würde. Eine Auslegung, die das vom Gesetzgeber selbst geschaffene Muster für eine Widerrufsinformation als nicht genügend ansehen würde, würde damit eine unzulässige Auslegung contra legem darstellen.

 

b) Der Senat hat ebenfalls bereits entschieden, dass die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB i.V.m. Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 1 EGBGB bezüglich der Frage des Kaskadenverweises auch nach der im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 26.3.2020 (C-66/19) vorgenommenen Änderung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch seine Entscheidung vom 27.10.2020 (Urteil vom 27.10.2020 - XI ZR 498/19) weiterhin anwendbar ist (Senat, Urteil vom 28.1.2021 - 4 U 7/20, juris).

 

aa) Auf der Grundlage dieses Urteils des EuGH hat der Bundesgerichtshof im Geltungsbereich der Verbraucherkreditrichtlinie in Bezug auf Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge an seiner bislang entgegenstehenden Rechtsprechung nicht festgehalten, wonach ein solcher Verweis klar und verständlich sei (vgl. BGH, Urteil vom 27.10.2020 - XI ZR 498/19, juris Rn. 16). Die nationalen Regelungen in § 492 Abs. 2 BGB und Art. 247 § 6 EGBGB ließen nach ihrem Wortlaut offen, ob und auf welche Weise in der Widerrufsinformation auf die zu erteilenden Pflichtangaben hinzuweisen sei. Nach Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB müsse dies lediglich klar und verständlich sein. Diese Voraussetzung sei auslegungsfähig, so dass bei einer richtlinienkonformen Auslegung eine Verweisung auf weitere Rechtvorschriften den Anforderungen an Klarheit und Verständlichkeit nicht genüge (vgl. BGH, Urt. v. 27.10.2020 - XI ZR 498/19, juris Rn. 16 m. w. N.).

 

bb) Zugleich hat der Bundesgerichtshof im Rahmen seiner geänderten Rechtsprechung aber auch geprüft, ob sich die Darlehensgeberin mit Blick auf ihre Widerrufsbelehrung auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB berufen kann. Dies setze voraus, dass die Widerrufsinformation dem Muster in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB entspreche (vgl. BGH, Urt. v. 27.10.2020 - XI ZR 498/19, juris Rn. 17). In dem Urteil vom 27.10.2020 hat der Bundesgerichtshof dies verneint, weil die dortige Widerrufsinformation unter der Unterüberschrift "Besonderheiten bei weiteren Verträgen" als mit dem Darlehensvertrag verbundenen Vertrag nicht nur den Fahrzeugkaufvertrag, sondern - zu Unrecht - auch einen Vertrag über eine Restschuldversicherung angegeben habe. Einen solchen Vertrag habe der dortige Kläger jedoch nicht abgeschlossen gehabt. Hierdurch fehle es an der Musterkonformität der Widerrufsinformation (vgl. BGH, Urteil vom 27.10.2020 - XI ZR 498/19, juris Rdn. 18 f).

 

cc) Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass - ungeachtet der Rechtsprechung des EuGH, der sich nunmehr auch der Bundesgerichtshof angeschlossen hat - jedenfalls die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB i. V. m. Anlage 7 auch in Fällen anwendbar ist, in denen der Sache nach wegen des sog. Kaskadenverweises nicht von einer korrekten Widerrufsinformation auszugehen ist. Jedenfalls in derartigen Fällen beginnt daher die Widerrufsfrist auf Grund der mit dem Muster übereinstimmenden Widerrufsinformation zu laufen.

 

c) Auf dieser Grundlage hat - wovon auch das Landgericht im Ergebnis ausgegangen ist - die Entscheidung des EuGH vom 26.3.2020 im Streitfall keine Auswirkungen auf die Beurteilung des Kaskadenverweises, weil die Beklagte als Unternehmerin infolge der Verwendung der Musterwiderrufsinformation die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB a.F. für sich in Anspruch nehmen kann.

 

4. Allerdings führt die erstmals in der Berufungsbegründung erhobene Rüge der Kläger zum Erfolg, wonach die Beklagte es unter Verstoß gegen Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Nr. 7 EGBGB i.V.m. §§ 492 Abs. 2, 495 Abs. 2 Nr. 2b BGB in der bis zum 12.6.2014 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) versäumt hat, im Darlehensvertrag den Betrag der monatlichen Teilzahlungen zu benennen.

 

a) Die Klägerin hat die Rüge betreffend die unzureichenden Angaben der Teilzahlungen in erster Instanz noch nicht erhoben. Sie ist damit jedoch nicht ausgeschlossen, weil die zugrundeliegenden Tatsachen - der Vertragsinhalt - zwischen den Parteien unstreitig sind (vgl. Wulf in: Vorwerk/Wolf, ZPO, Stand: 1.9.2020, § 531 Rn. 8).

 

b) Gemäß Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Nr. 7 EGBGB i.V.m. §§ 492 Abs. 2, 495 Abs. 2 Nr. 2b BGB a.F. muss der Verbraucher vor Vertragsschluss über Betrag, Zahl und Fälligkeit der einzelnen Teilzahlungen unterrichtet werden. Vorliegend hat die Beklagte unter Ziffer 3.1 der Vertragsurkunde zwar angegeben, dass die Soll-Zinsen (2,86 % p.a.) aus dem jeweiligen Darlehenssaldo berechnet werden und "am Ultimo eines jeden Monats" fällig sind. Ferner ist unter Ziffer 3.2 ein Betrag von monatlich 216 € als vom Verbraucher zu zahlende Kosten bzw. als Nebenleistung aufgeführt (Bl. 16 d.A.). Dies bezieht sich jedoch lediglich auf die Prämie für den zusätzlich abgeschlossenen Bausparvertrag, nicht aber auf die über diesen Betrag hinausgehende, von den Klägern ebenfalls zu erbringende monatliche Zinszahlung, die sich nach dem unstreitigen Vortrag beider Parteien auf 118,75 € belaufen hat (vgl. die Angaben in der Berufungserwiderung Bl. 316 d.A. sowie die Angaben der Kläger in der Klageschrift Bl. 12 d.A.). Zur Höhe der monatlichen Zinszahlungen finden sich überhaupt keine Angaben im Vertragstext.

 

c) Der Senat vermag sich der Auffassung der Beklagten, mit der Fälligkeit der einzelnen Teilzahlungen nach Art. 247 § 3 Abs. 1 EGBGB a.F. seien nicht monatlich zu entrichtende Zinsbeträge zu verstehen, sondern nur monatliche Ratenzahlungen unter gleichzeitigem Einschluss eines Tilgungsanteils, nicht anzuschließen.

 

aa) Die gesetzliche Formulierung des Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 7 EGBGB a.F. ist exakt dem Wortlaut des § 502 Abs. 1 Nr. 3 BGB i.d.F. vom 2.1.2002 nachgebildet, der die erforderlichen Angaben und Rechtsfolgen von Formmängeln bei Teilzahlungsgeschäften regelte (BT-Drucks. 16/11643 S. 124). Der Begriff Teilzahlungen bezieht sich hierbei sowohl auf die Tilgung als auch auf Zinszahlungen (Gerlach/Kuhle/Scharm in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reimann, beck-online Großkommentar zum BGB, Stand: 15.8.2020, Art. 247 § 3 EGBGB, Rn. 17).

 

bb) Auch der von der Beklagten zur Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung angeführten Definition des Begriffes der "Rate" durch den Duden Verlag kann nicht zwingend entnommen werden, dass eine Rate schon nach dem allgemeinen Wortgebrauch nicht nur einen in Zeitabständen zu zahlenden Zinsanteil, sondern immer auch einen Tilgungsanteil enthalten müsse.

 

cc) Die darüber hinaus von der Beklagten zum Beleg ihrer Rechtsauffassung zitierte Literatur (Merz/Rösler, Immobilienfinanzierungen nach neuem Verbraucherkreditrecht, ZIP 2011, 2381, 288, dort Rn. 2.7) überzeugt nicht.

 

(1) Zwar heißt es dort, dass bei einem endfälligen Darlehen, bei dem während der Vertragslaufzeit lediglich Zinsraten zu erbringen seien, keine Angabepflicht nach Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 7 EGBGB a.F. bestehe, weil es insofern an Teilzahlungen fehle. Bei der Kombination eines endfälligen Immobiliardarlehensvertrags mit einem Tilgungsersatzmittel dürften dagegen die Prämienzahlungen für dieses als Teilzahlungen im Sinne des Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 7 EGBGB a.F. angesehen werden, soweit die Ansparleistung durch wiederholte Prämienzahlungen und nicht durch einen (kreditfinanzierten) Einmalbetrag erfolge.

 

(2) Das in dem Aufsatz zum Beleg angeführte Urteil des Bundesgerichtshofs ist indes nicht zu Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 7 EGBGB a.F. ergangen, sondern zu der nach § 4 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1b Satz 1 VerbrKrG bestehenden Pflicht zur Gesamtbetragsangabe (BGH, Urteil vom 19.2.2008 - XI ZR 23/07, juris Rn. 12). Nach dieser am 31.12.2001 außer Kraft getretenen Vorschrift war bei Krediten mit veränderlichen Bedingungen, die in Teilzahlungen getilgt werden, ein Gesamtbetrag anzugeben, und zwar auf der Grundlage der bei Abschluss des Vertrages maßgeblichen Kreditbedingungen. Der Bundesgerichtshof hat in der genannten Entscheidung auf den "eindeutigen" Wortlaut von § 4 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1b Satz 2 VerbrKrG verwiesen, wonach eine Pflicht zur Gesamtbetragsangabe nur dann bestehe, wenn die Tilgung des Kredits in Teilzahlungen erfolge. Demgemäß kämen, so der Bundesgerichtshof, als Tilgungsersatz nur mehrere Zahlungen auf einen Ansparvertrag in Betracht, die aus der Sicht des Verbrauchers wirtschaftlich gesehen Tilgungsleistungen gleichstünden. Derartige Zahlungen seien nach dem dort streitgegenständlichen Anlagekonzept jedoch nicht vorgesehen. Die Ansparleistung sei vielmehr durch die Einmalzahlung in die Tilgungsversicherung erfolgt, durch die der Grundstock für die spätere Versicherungsleistung gelegt worden sei (BGH, Urteil vom 19.2.2008 - XI ZR 23/07, juris Rn.16).

 

(3) Dies ist auf die vorliegende Vertragsgestaltung schon deshalb nicht übertragbar, weil nach § 4 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1b Satz 1 VerbrKrG lediglich der "Gesamtbetrag aller vom Verbraucher zur Tilgung des Kredits sowie zur Zahlung der Zinsen und sonstigen Kosten zu entrichtenden Teilzahlungen" anzugeben war, während nach Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 7 EGBGB "Betrag, Zahl und Fälligkeit der Teilzahlungen" zu benennen sind. Der "Gesamtbetrag" ist dagegen in Nr. 8 gesondert aufgeführt und seine Benennung war im vorliegenden Fall gem. Art. 247 § 9 Abs. 1 Satz 1 EGBGB in der zwischen dem 11.6.2010 und 20.3.2016 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) entbehrlich. Die gesetzliche Formulierung der Nr. 7 entspricht indes exakt dem Wortlaut des oben erwähnten § 502 Abs. 1 Nr. 3 BGB i.d.F. vom 2.1.2002.

 

dd) Daher vermag sich der Senat im vorliegenden Fall auch nicht dem von der Beklagten in Bezug genommenen, nicht veröffentlichten Urteil des Landgerichts Kassel vom 12.4.2019 - 4 O 2039/16, Anlage BB1, Bl. 317 ff. d.A.) anzuschließen. Im dortigen Fall wurde es bei einem endfälligen Darlehen, bei dem der Darlehensnehmer während der Laufzeit nur die anfallenden Zinsen zahlte und nach der Vertragslaufzeit den vollständigen Darlehensbetrag zurückzuzahlen hatte, für ausreichend erachtet, dass in der Vertragsurkunde nur die Höhe des am Monatsletzten zu zahlenden Zinsbetrags mit 3,5 % angegeben waren. Offenbar erfolgte die Finanzierung ebenfalls durch den Abschluss eines Bausparvertrags, da in der Vertragsurkunde weiterhin ein monatlicher Bausparbeitrag von 298 € genannt wurde (Bl. 319 d.A.). Allerdings hat das Landgericht Kassel in dem genannten Urteil - zumindest auch - maßgeblich darauf abgestellt, dass dem Darlehensnehmer im Vertrag der voraussichtliche Gesamtbetrag genannt und damit verdeutlicht wurde, welche Belastungen auf ihn zukämen (Bl. 324 d.A.). Im hier streitgegenständlichen Vertrag waren jedoch lediglich der Nettodarlehensbetrag, der festgeschriebene Zinssatz und die monatlich auf den Bausparvertrag zu zahlende Prämie angegeben. Damit war es für die Kläger gerade nicht ersichtlich, welche monatlichen Belastungen entstanden.

 

ee) Gleiches gilt im Ergebnis für das von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung überreichte, ebenfalls nicht veröffentlichte Urteil des Landgerichts Hamburg vom 16.10.2020 - Az. 330 O 79/20 (Bl. 336 ff. d.A.). In dieser Entscheidung wurde maßgeblich darauf abgestellt, dass der Darlehensnehmer zunächst nur die Zinsen zu zahlen gehabt habe, deren Höhe festgeschrieben gewesen sei und sich aus den Darlehensverträgen ergeben hätte. Da diese Zinsbelastung ab Auszahlung immer auf den vollen Darlehensbetrag errechnet und daher bis zum Ende der Zinsbindungsfrist gleich geblieben sei, habe der Darlehensnehmer die von ihm zu erbringenden Leistungen aus dem Vertrag gut nachvollziehen können. Der Gesetzeszweck des Art. 247 § 3 Nr. 7 EGBG, dem Verbraucher die von ihm zu übernehmende Belastung konkret vor Augen zu führen, sei damit gewahrt. Im Übrigen hätte das Darlehen auch in Teilbeträgen ausgezahlt werden können, so dass die gesamte Höhe der monatlichen Zinszahlung im Darlehensvertrag gar nicht im Voraus hätte angegeben werden können. Ungeachtet dessen, dass sich der sehr knapp gehaltenen Entscheidung der genaue Vertragsinhalt im dort zu entscheidenden Fall nicht entnehmen lässt, kann vorliegend gerade nicht davon ausgegangen werden, dass die Kläger die von ihnen zu erbringenden Leistungen aus dem Vertrag ersehen konnten. Der monatlich an Darlehenszinsen zu zahlende Betrag ergab sich unstreitig nicht aus dem Vertrag, in dem lediglich die auf den Bausparvertrag zu zahlende Prämie von 216 € genannt wurde. Auch eine etwaige Nennung der monatlichen Zinszahlungen in dem den Klägern ausgehändigten Zins- und Tilgungsplan würde den gesetzlichen Vorgaben nicht genügen, da die Angaben im Vertrag selbst gemacht werden müssen.

 

ff) Für die vom Senat vertretene Auslegung spricht auch der gesetzliche Regelungszusammenhang: In Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 3 EGBGB heißt es: "Abweichend von § 3 Abs. 1 Nr. 7 ist die Anzahl der Teilleistungen nicht anzugeben, wenn die Laufzeit des Darlehensvertrags von dem Zeitpunkt der Zuteilung eines Bausparvertrags abhängt." In all diesen Fällen eines Vorfinanzierungskredits zu einem Bauspardarlehen mit ungewissem Zuteilungsdatum erfolgen typischerweise vor der Zuteilung keine Tilgungsleistungen. "Teilzahlungen" würden sich also immer (nur) auf Zinsleistungen beziehen.

 

gg) Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der streitgegenständliche Darlehensvertrag der genannten Ausnahmeregelung des Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 3 EGBGB (früher: Art. 247 § 9 Abs. 2 a.F.) deshalb unterfiele, weil unter Ziffer 4 des Darlehensvertrags vereinbart worden sei, dass die Darlehensrückzahlung "im engeren Sinne durch Zuteilung eines Bausparvertrags" unter der dort genannten Nummer erfolgte, der bis zum 15.8.2013 laufen sollte, und die Darlehenslaufzeit exakt auf den gleichen Zeitraum vereinbart sei. Hintergrund der gesetzlichen Regelung ist, dass sich Bausparkassen nach den Vorgaben des § 4 Abs. 5 BauSparkG vor Zuteilung eines Bausparvertrages nicht verpflichten dürfen, die Bausparsumme zu einem bestimmten Zeitpunkt auszuzahlen. Damit darf der Zeitpunkt der Zuteilungsreife nicht im Voraus festgelegt werden, so dass auch die korrelierende Vorhersage der Anzahl an hierfür erforderlichen Teilzahlungen unterbleiben soll (Gerlach/Kuhle/Scharm in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reimann, beck-online Großkommentar zum BGB, Stand: 15.8.2020, Art. 247 § 6 EGBGB, Rn. 26; Weber in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 247 § 6 EGBGB Rn. 9; BT-Drucks. 16/11643 S. 130). Im Streitfall war jedoch in Ziffer 4 des Darlehensvertrags die Laufzeit des Darlehens von vornherein ausdrücklich bestimmt, nämlich bis zum 15.8.2013. Sie hing damit gerade nicht von der Zuteilungsreife eines Bausparvertrags ab. Im Übrigen entbindet die Regelung des Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 3 EGBGB bzw. Art. 247 § 9 Abs. 2 EGBGB a.F. nach ihrem unmissverständlichen Wortlaut lediglich von der Angabe der Anzahl der Teilzahlungen, nicht jedoch - wie in § 3 Abs. 1 Nr. 7 ebenfalls gefordert - von der Benennung des Betrags und der Fälligkeit der einzelnen Teilzahlungen. Diese Angaben sind auch dann möglich und gesetzlich vorgeschrieben, wenn die Darlehensrückzahlung durch die Zuteilung eines Bausparvertrags erfolgt.

 

hh) Auch angesichts des Zwecks der Informationspflicht erscheint es kaum nachvollziehbar, warum das Informationsbedürfnis des Verbrauchers sich nur auf solche monatliche Belastungen beziehen sollte, die sich aus Zins und Tilgung zusammensetzen. Denn dem Darlehensnehmer sollen vollständige und zutreffende Informationen gegeben werden, auf deren Grundlage er in die Lage versetzt werden soll, zuverlässig zu beurteilen und zu entscheiden, ob der Vertrag seinen Bedürfnissen entspricht und mit seinen finanziellen Verhältnissen verträglich ist. Hierfür erscheint es evident relevant, Anzahl und Betrag der monatlichen Darlehenszinsen (vorliegend 118,75 €) zu kennen, da sich die faktische monatliche finanzielle Belastung nicht ausschließlich an der zu erbringenden Bausparprämie (vorliegend 216 €) orientiert, sondern an den von dem Verbraucher insgesamt zu erbringenden Zahlungen unter Einschluss der Darlehenszinsen.

 

5. Dies führt dazu, dass die Kläger ihre Vertragserklärungen zum streitgegenständlichen Darlehensvertrag noch im Jahr 2018 wirksam widerrufen konnten. Durch den Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrages wandelt sich dieser grundsätzlich mit Wirkung für die Zukunft - ex nunc - in ein Rückgewährschuldverhältnis um (BGH, Urteil vom 10.3.2009 - XI ZR 33/08, BGHZ 180, 123; Beschluss vom 12.1.2016 - XI ZR 366/15, NJW 2016, 2428). Allein nach diesem Rückgewährschuldverhältnis - nicht nach dem zugrundeliegenden Verbraucherdarlehensvertrag - bestimmen sich die von den Parteien nunmehr wechselseitig geltend gemachten Rückabwicklungsansprüche (BGH NJW 2016, 2428). Danach schulden die Kläger der Beklagten gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 346 Abs. 1 BGB Herausgabe der gesamten Darlehensvaluta ohne Rücksicht auf eine (Teil-)Tilgung sowie gemäß § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 BGB Wertersatz für Gebrauchsvorteile am jeweils tatsächlich noch überlassenen Teil der Darlehensvaluta; dem gegenüber stehen Ansprüche der Kläger gegen die Beklagte auf Herausgabe der von den Klägern empfangenen Zins- und Tilgungsleistungen zzgl. von ihnen gezogener Nutzungen (§ 346 Abs. 1 BGB; BGH, Beschluss vom 22. September 2015 - XI ZR 116/15, NJW 2015, 3441; NJW 2016, 2428; Urteil vom 25. April 2017 - XI ZR 573/15, WM 2017, 1004). Vorliegend war das Darlehen zum Zeitpunkt des Widerrufs indes bereits abgelöst und die Höhe des Klagebetrags steht wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren außer Streit. Hiernach können die Kläger die Rückzahlung der von ihnen in Höhe von 5.962,50 € geleisteten Vorfälligkeitsentschädigung sowie Zahlung des von ihnen errechneten Nutzungsersatzes für die während der Vertragslaufzeit gezahlten Zinsleistungen in Höhe von 325 € verlangen. Unstreitig haben die Kläger über die Laufzeit des Darlehens fortlaufend monatliche Darlehensraten in Höhe von jeweils 118,75 € entrichtet. Diese sind mit einer Verzinsung von 2,5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu erstatten (BGH, Urteil vom 10.3.2009 - XI ZR 33/08, juris Rn. 29). Die Kläger haben unwidersprochen vorgetragen, dass ihnen unter Beachtung der Vorgaben des Bundesgerichtshofs ein Erstattungsanspruch in Höhe von (mindestens) 325 € zustehe. Hieraus folgt ein Erstattungsbetrag in Höhe von insgesamt 6.287,50 €, sodass die Klage in vollem Umfang Erfolg hat.

 

6. Der Zinsanspruch folgt aus Verzugsgesichtspunkten. Die Beklagte ist nach Ablauf der in dem anwaltlichen Schreiben vom 11.1.2019 (Anlage K 13, Bl. 68 ff. d.A.) bis zum 31.1.2019 gesetzten Frist zur Zahlung des Klagebetrags in Verzug geraten.

 

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht zuzulassen; denn weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.