BGH: Verwirkung bei beendeten Verträgen

Mit nunmehr veröffentlichtem Urteil vom 18.02.2020 (Az.: XI ZR 25/19) hat der Bundesgerichtshof verbraucherunfreundlich entschieden: Die Freigabe von Sicherheiten soll nach Ansicht der Richer des XI. Senats ein Aspekt sein, den der Tatrichter bei der Prüfung der Verwirkung berücksichtigen kann, auch wenn der Darlehensgeber nach Beendigung des Darlehensvertrags und vollständiger Erfüllung der aus dem unwiderrufenen Darlehensvertrag resultierenden Pflichten des Darlehensnehmers die Sicherheiten ohnehin freizugeben hätte.

 

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Die Parteien schlossen dort 2007 einen Darlehensvertrag über 480.000 € mit einem bis zum 30. November 2019 festen Nominalzinssatz. Zur Sicherung der Ansprüche der Beklagten diente eine Grundschuld. Bei Abschluss des Darlehensvertrags belehrte die Beklagte den Kläger unzureichend deutlich über sein Widerrufsrecht. Im April 2011 vereinbarten die Parteien auf Wunsch des Klägers die vorzeitige Aufhebung des Darlehensvertrages. Die Beklagte berechnete in diesem Rahmen ein Aufhebungsentgelt in Höhe von 31.814,62 €, das der Kläger neben der noch offenen Valuta an die Beklagte zahlte, die daraufhin sämtliche für das Darlehen bestellte Sicherheiten freigab. Mit Schreiben vom 6. Januar 2016 erklärte der Kläger den Widerruf seiner auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung.

 

Prozessverlauf:

 

Die Klage auf Rückzahlung des Aufhebungsentgelts und des Bearbeitungsentgelts, jeweils nebst Zinsen, hat das Landgericht Mönchengladbach abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht Düsseldorf der Klage vollumfänglich stattgegeben. Dagegen richtet sich die vom XI. Senat zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie ihr Begehren auf Zurückweisung der Berufung des Klägers weiterverfolgt.

 

Der BGH begründet sein Urteil, mit dem er der Berufung der Bank stattgab, wie folgt:

 

Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten setzt neben einem Zeitmoment ein Umstandsmoment voraus. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zeit- und Umstandsmoment können nicht voneinander unabhängig betrachtet werden, sondern stehen in einer Wechselwirkung. Je länger der Inhaber des Rechts untätig bleibt, desto mehr wird der Gegner in seinem Vertrauen schutzwürdig, das Recht werde nicht mehr ausgeübt werden (Senatsurteile vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 393/16, WM 2017, 2247 Rn. 9 und vom 16. Oktober 2018 - XI ZR 45/18, WM 2018, 2274 Rn. 14; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 9). Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalles, ohne dass insofern auf Vermutungen zurückgegriffen werden kann (Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, BGHZ 211, 105 Rn. 40 und XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 37, vom 11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15, BGHZ 212, 207 Rn. 30, vom 14. März 2017 - XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 27 sowie vom 16. Oktober 2018, aaO; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018, aaO). Die Bewertung des Tatrichters kann in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, aaO, Rn. 18, und XI ZR 564/15, aaO, Rn. 43 sowie vom 16. Oktober 2018, aaO; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018, aaO).

 

a) Das Berufungsgericht hat zwar noch zutreffend angenommen, dass gerade bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen - wie hier - das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein kann, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprach und er es in der Folgezeit versäumt hat, den Verbraucher nachzubelehren, und dies in besonderem Maße gilt, wenn die Beendigung des Darlehensvertrags auf einen Wunsch des Verbrauchers zurückgeht (Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, BGHZ 211, 105 Rn. 41, vom 21. Februar 2017 - XI ZR 381/16, WM 2017, 806 Rn. 22, vom 12. März 2019 - XI ZR 9/17, WM 2019, 917 Rn. 11 und vom 17. September 2019 - XI ZR 677/17, juris Rn. 25 mwN; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 16), ohne dass die vor der Widerrufserklärung erfolgte Beendigung eines Darlehensvertrags eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen des Umstandsmoments begründet (Senatsurteile vom 3. Juli 2018 - XI ZR 702/16, WM 2018, 1601 Rn. 9 und vom 11. September 2018 - XI ZR 64/17, juris Rn. 14).

 

b) Allerdings hat das Berufungsgericht im Rahmen seiner Würdigung der Umstände des Einzelfalls verkannt, dass der Zeitraum zwischen der Beendigung des Verbraucherdarlehensvertrags und dem Widerruf - hier annähernd fünf Jahre - nicht das Zeitmoment betrifft, aber - wenn auch nicht im Sinne einer Vermutung nach Ablauf einer wie immer definierten Mindestzeitspanne - gerade im Hinblick auf die Rechtsfolgen des Widerrufs bei der Prüfung des Umstandsmoments Berücksichtigung finden kann (Senatsbeschlüsse vom 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 14 und vom 25. September 2018 - XI ZR 462/17, BKR 2019, 139 Rn. 11; Senatsurteile vom 2. April 2019 - XI ZR 687/17, juris Rn. 16, vom 17. September 2019 - XI ZR 677/17, juris Rn. 24 und vom 22. Oktober 2019 - XI ZR 203/18, WM 2020, 84 Rn. 15).

 

c) Überdies ist - entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts - die Tatsache, dass der Darlehensgeber Sicherheiten freigegeben hat, ein Aspekt, den der Tatrichter bei der Prüfung des Umstandsmoments berücksichtigen kann, auch wenn der Darlehensgeber nach Beendigung des Darlehensvertrags und vollständiger Erfüllung der aus dem unwiderrufenen Darlehensvertrag resultierenden Pflichten des Darlehensnehmers die Sicherheiten ohnehin freizugeben hätte. Die Sicherheiten sichern regelmäßig auch Ansprüche aus einem Rückgewährschuldverhältnis nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB. Dem Rückgewähranspruch des Darlehensnehmers aus der Sicherungsabrede haftet die für den Fall des Widerrufs auflösende Rechtsbedingung einer Revalutierung an. Beendet der Darlehensgeber trotz der Möglichkeit der Revalutierung durch Rückgewähr der Sicherheit den Sicherungsvertrag, kann darin die Ausübung beachtlichen Vertrauens im Sinne des § 242 BGB liegen (Senatsurteile vom 11. September 2018 - XI ZR 125/17, WM 2018, 2128 Rn. 34, vom 16. Oktober 2018 - XI ZR 45/18, WM 2018, 2274 Rn. 17 und vom 24. September 2019 - XI ZR 322/18, WM 2020, 80 Rn. 23 mwN; Senatsbeschlüsse vom 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 20 und vom 7. März 2018 - XI ZR 298/17, juris).

 

d) Schließlich hat das Berufungsgericht verkannt, dass der weitere Einsatz der vom Darlehensnehmer erlangten Mittel nach vollständiger Beendigung des Darlehensvertrags durchaus geeignet sein kann, ein schutzwürdiges Vertrauen des Darlehensgebers auf das Ausbleiben des Widerrufs zu begründen (Senatsurteile vom 16. Oktober 2018 - XI ZR 45/18, WM 2018, 2274 Rn. 16, vom 2. April 2019 - XI ZR 687/17, juris Rn. 19 und vom 22. Oktober 2019 - XI ZR 203/18, WM 2020, 84 Rn. 16; Senatsbeschluss vom 5. Juni 2018 - XI ZR 577/16, juris Rn. 4). Dies gilt auch, wenn der Darlehensgeber - was hier die Beklagte geltend macht - nicht selbst mit den Zahlungen des Darlehensnehmers wirtschaftet, sondern diese valutagleich an eine andere Bank, über die er das Darlehen refinanziert und von der er die Mittel für das Darlehen erhalten hat, weitergeleitet hat.