Gesetzlichkeitsfiktion

1. Rechtlicher Hintergrund der Gesetzlichkeitsfiktion

Der deutsche Gesetzgeber hat seit Juli 2010 in der Anlage 6 (später: Anlage 7) zum Art 247 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch Kreditinstituten ein Muster zur Verfügung gestellt, wie die Widerrufsinformation aussehen kann (nicht muss).  Viele Kreditinstitute haben sich an das Muster gehalten. Sie kommen dann nach Art. 247 § 6 Absatz 2 Satz 3 EGBGB in den Genuss, dass seitens der Gerichte einfach angenommen wird, dass die Widerrufsbelehrung korrekt ist: Konkret lautete Art. 247 § 6 Absatz 2 Satz 3 EGBGB in der Fassung vom 04.08.2011:

 

"Enthält der Verbraucherdarlehensvertrag eine Vertragsklausel in hervorgehobener und deutlich gestalteter Form, die dem Muster in Anlage 6 entspricht, genügt diese den Anforderungen der Sätze 1 und 2. 4 Dies gilt bis zum Ablauf des 4. November 2011 auch bei entsprechender Verwendung dieses Musters in der Fassung des Gesetzes zur Einführung einer Musterwiderrufsinformation für Verbraucherdarlehensverträge, zur Änderung der Vorschriften über das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen und zur Änderung des Darlehensvermittlungsrechts vom 24. Juli 2010 (BGBl. I S. 977). 5 Der Darlehensgeber darf unter Beachtung von Satz 3 in Format und Schriftgröße jeweils von dem Muster abweichen."

 

Diese Wirkung bezeichnet man als sog. Gesetzlichkeitsfiktion (oder Richtigkeitsvermutung).

 

2. Abweichungen vom gesetzlichen Belehrungsmuster

Gerade vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils vom 26.03.2020 kommt der Frage, ob das Kreditinstitut sich an das gesetzliche Muster gehalten hat oder nicht eine große Bedeutung zu.

Die große Mehrheit der Kreditinstitute ist jedoch an der einen oder anderen Stelle vom Muster abgewichen oder hat die Widerrufsinformation nicht in hervorgehobener und deutlich gestalteter Form in die Vertragsurkunde aufgenommen.

 

Wann eine Abweichung so bedeutsam ist, dass das Kreditinstitut nicht mehr die Gesetzlichkeitsfiktion für sich in Anspruch nehmen kann ist nicht eindeutig zu beantworten.:

 

Von der Gesetzlichkeitsfiktion profitieren Kreditinstitute grundsätzlich nur bei richtiger und formgerechter Verwendung des Mustertextes. Weglassungen oder Ergänzungen oder Informationen, die in dem Mustertext oder den Gestaltungshinweisen nicht vorgesehen sind, hindern den Eintritt der Fiktion (so ausdrücklich Palandt in: Bürgerliches Gesetzbuch, Art. 247 § 6 EGBGB, Randnummer 4). Sachliche Änderungen führen zum Verlust der Gesetzlichkeitsfiktion (Schürnbrand in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 492, Randnummer 30).

 

Unter Auswertung der Rechtsprechung des Banken-Senats am Bundesgerichtshofs stellte Richter am Bundesgerichtshof Grüneberg in seinem viel beachteten Aufsatz im Kapitel 1 („Die ‚strenge‘ Linie des BGH-Rechtsprechung“; im Gegensatz hierzu geht es im Kapitel 2 des Aufsatzes um „Die ‚großzügige‘ Linie des BGH-Rechtsprechung“) BKR 2019,1,3 f. klar:

 

„Damit definieren diese Vorschriften die Grenze der für den Erhalt der Gesetzlichkeitsfiktion unschädlichen Abweichungen. Entsprechend kann sich der Unternehmer auf die Schutzwirkungen der genannten Vorschriften berufen, wenn er gegenüber dem Verbraucher ein Formular verwendet, das dem jeweiligen Muster für die Widerrufsbelehrung oder -information in der jeweils maßgeblichen Fassung sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig entspricht. Unterzieht der Unternehmer dagegen das gesetzliche Muster einer eigenen inhaltlichen Bearbeitung, die über das Erlaubte hinausgeht, verliert er die Schutzwirkung der genannten Vorschriften, und zwar unabhängig von Gewicht und Kausalität der Änderung. Dies ist konsequent, weil es sich bei der Gesetzlichkeitsfiktion um eine Wohltat des Gesetzgebers zugunsten des Unternehmers handelt, die nach ihrem Sinn und Zweck und im Hinblick auf die gegenläufigen Interessen des Verbrauchers eng ausgelegt werden muss.“

 

Das heißt, dass von der Gesetzlichkeitsfiktion wirklich nur ausgegangen werden kann, wenn sich die Bank akribisch an das Muster gehalten hat.