Ein wichtiges verbraucherfreundliches Urteil stammt aus Rostock: Das Landgericht Rostock hat die dortige Sparkasse mit nunmehr veröffentlichtem Urteil vom 10.02.2021 verurteilt, an ihre Kunden die Vorfälligkeitsentschädigung aus einem zurückgeführten Darlehensvertrag zurückzuzahlen (Aktenzeichen: 2 O 872/19). Die Vertragsangaben über die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung waren nach Ansicht des Gerichts lückenhaft und intransparent. Die Kunden erhalten daher einen Betrag in Höhe von über 23.000 Euro zurück.
Konkret wurden die Kunden wie folgt über die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung informiert:
10.2 Vorfälligkeitsentschädigung
Die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung (Ablösungsentschädigung) durch die Sparkasse erfolgt nach den gesetzlichen Vorgaben und der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Dies ist derzeit die sog. „Aktiv/Passiv-Methode“. Durch diese Berechnungsmethode wird die Sparkasse so gestellt, als ob der Kredit bis zum Ablauf der Zinsbindung planmäßig fortgeführt worden wäre.
Für die Ermittlung der Vorfälligkeitsentschädigung wird von einer Anlage der vorzeitig zurückgezahlten Darlehensmittel in sichere Kapitalmarkttitel (Pfandbriefrenditen der Deutschen Bundesbank) ausgegangen. Zunächst wird der Betrag ermittelt, der zum Ablösestichtag erforderlich ist, um sämtliche ursprünglich vereinbarten Zahlungen aus dem Kreditvertrag (Zinsen, Tilgung) sowie das rechnerische Restkapital am Ende der Zinsfestschreibung zu erzielen. Die anfallenden Zinsen sind in diese Berechnung einbezogen.
Zusätzlich wird das auf den restlichen Zinsbindungszeitraum entfallende und somit - auf Basis des effektiven Jahreszinses - zu erstattende Disagio in die Berechnung einbezogen, sofern ein Disagio vereinbart wurde.
Die Sparkasse ermittelt ferner die zukünftig entfallenden Risiko- und Verwaltungskosten und reduziert die Vorfälligkeitsentschädigung entsprechend.
Durch die vorzeitige Ablösung des Darlehens entsteht ein lnstitutsaufwand, der Ihnen in Rechnung gestellt wird.
Bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung wird zusätzlich von Folgendem ausgegangen:
- Berücksichtigung der sich durch die Tilgung verringernden Darlehensschuld;
- Schadensmindernde Berücksichtigung vereinbarter Sondertilgungsrechte;
- Abzinsung der ermittelten Schadensbeträge auf den Rückzahlungszeitpunkt.
Sofern der Darlehensnehmer der Sparkasse die Absicht mitteilt, das Darlehen vorzeitig zurückzuzahlen, übermittelt die Sparkasse dem Darlehensnehmer in Textform unverzüglich Informationen zur Zulässigkeit der vorzeitigen Rückzahlung, im Fall der Zulässigkeit die Höhe des zurückzuzahlenden Betrags und gegebenenfalls die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung.“
Das Landgericht Rostock hält diese Information für unzureichend:
Konkret führt es zur Begründung aus:
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1.
Die Beklagte [= Sparkasse, Anm. der Kanzlei Stenz & Rogoz] hat keinen Anspruch auf Zahlung von Vorfälligkeitsentschädigungen nach § 502 Abs. 1 BGB, da dieser Anspruch gemäß § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB wegen unzureichender Angaben für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung ausgeschlossen ist.
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Die Vertragsangaben über die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung sind unzureichend, wenn sie nicht klar und verständlich iSv Art. 247 § 7 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB i.V.m. § 492 Abs. 2 BGB sind. Maßgeblich ist die Sicht eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbrauchers (OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 1.7.2020 - 17 U 810/19, NJW-RR 2020, 1121 Rn. 47, beckonline).
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Entscheidend ist, dass der Darlehensnehmer die Berechnung der Entschädigung nachvollziehen und seine Belastung, falls er sich zur vorzeitigen Rückzahlung entschließt, zuverlässig abschätzen kann. Im Hinblick auf eine hinreichende Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Berechnungsmethode genügt es, wenn der Darlehensgeber die für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung wesentlichen Parameter in groben Zügen benennt (BGH, Urteil vom 5.11.2019 - XI ZR 650/18, NJW 2020, 461, beckonline).
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Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte zu der Berechnung unter Anwendung der Aktiv/Passiv-Methode informiert.
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Bei der Aktiv-Passiv-Berechnungsmethode stellt sich der finanzielle Nachteil des Darlehensgebers als Differenz zwischen den Zinsen, die der Darlehensnehmer bei Abnahme des Darlehens tatsächlich gezahlt hätte, und der Rendite dar, die sich aus einer laufzeitkongruenten Wiederanlage der freigewordenen Beträge in sicheren Kapitalmarkttiteln ergibt. Der Differenzbetrag ist um ersparte Risiko- und Verwaltungskosten zu vermindern und auf den Zeitpunkt der Leistung der Nichtabnahmeentschädigung abzuzinsen (BGH, Urteil vom 7. 11. 2000 - XI ZR 27/00, NJW 2001, 509, beckonline).
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Aus den Informationen der Beklagten ergibt sich diese Differenzberechnung nicht. Es werden zwar Parameter für die Berechnung der Entschädigung genannt, ohne jedoch transparent zu machen, wie diese untereinander in Beziehung zu setzen sind, so dass der Darlehensnehmer nicht hinreichend zuverlässig die durch die vorzeitige Rückzahlung voraussichtlich anfallenden Belastungen abschätzen kann.
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Im zweiten Absatz der Ziffer 10.2 der Verträge wird ohne weitere Erläuterung für die weitere Bedeutung in der Berechnung der Entschädigung mitgeteilt, dass von einer Anlage der vorzeitig zurückgezahlten Darlehensmittel in sichere Kapitalmarkttitel ausgegangen werde. Im zweiten Satz wird der Eindruck vermittelt, dass nun die Methodik Schritt für Schritt erläutert werden soll, indem ausgeführt wird, dass „zunächst“ ein bestimmter Betrag ermittelt werde. Sodann werden weiter Parameter genannt, die diesen Betrag erhöhen oder verringern. Der Abzug der rechnerisch durch Anlage der vorzeitig zurückgezahlten Darlehensmittel erzielbaren Rendite und der Darlehensmittel selbst wird jedoch nicht erläutert.
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Durch die lückenhafte und intransparente Information kann für den Darlehensnehmer der Eindruck einer sehr viel größeren Belastung entstehen, welche ihn von der vorzeitigen Rückzahlung abhalten könnte.
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Ob auch die weiteren von Klägerseite genannten Unzulänglichkeiten den Wegfall des Anspruches der Beklagten auf Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung begründen, kann hier dahingestellt bleiben.
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2.
Die Aufhebungsvereinbarungen selbst stellt keinen eigenständigen Rechtsgrund für die Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigungen dar.
Vereinbarungen über die Modalitäten der vorzeitigen Rückzahlung eines Darlehens beseitigen nicht das ursprüngliche Schuldverhältnis, sondern modifizieren das Darlehensverhältnis im Hinblick auf die Erfüllungssperre.
Ein Ausschluss der Rückforderung muss daher gesondert vereinbart werden (OLG Köln, Hinweisbeschluss v. 28.10.2016 - 13 U 169/16, BeckRS 2016, 20915 Rn. 3, beckonline). Dies war hier nicht der Fall. Die Beklagte hatte zwar mit den Formulierungen im vorletzten Absatz der Vereinbarungen wohl versucht, eine Rückforderungssperre vertraglich zu vereinbaren, der Kläger hatte sich jedoch ausdrücklich in den Aufhebungsvereinbarungen die Rückforderung vorbehalten. Indem die Beklagte trotz dieser Vertragszusätze die vorzeitige Beendigung der Verträge umsetzte, nahm sie die Angebote des Klägers zum Abschluss der modifizierten Vereinbarungen konkludent an.
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3.
Der Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen beruht auf §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
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Ein Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten besteht nicht.
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Zum Zeitpunkt der Beauftragung der Rechtsanwälte befand sich die Beklagte noch nicht in Verzug. Eine erste verzugsauslösende Mahnung erfolgte erst mit anwaltlichem Schreiben vom 03.07.2019. Die mit der Klage geltend gemachten Anwaltskosten in Form der Geschäftsgebühr und Auslagenpauschale entstanden mit Beauftragung und somit vor Verzugseintritt, so dass es sich nicht um einen Verzugsschaden handelt.
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Die Anwaltskosten sind auch nicht als Schadensersatz aus § 280 BGB zu ersetzen. Wird jemand unberechtigt als angeblicher Schuldner mit einer Forderung konfrontiert und entstehen ihm bei der Abwehr dieser Forderung Kosten, dann kommen als Anspruchsgrundlage für einen Ersatzanspruch innerhalb einer vertraglichen Sonderverbindung culpa in contrahendo (280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1) oder Schadensersatz neben der Leistung (§ 280 Abs. 1 BGB) in Betracht (BGH, Urteil vom 12. 12. 2006 - VI ZR 224/05, Rn. 8 f., NJW 2007, 1458 Rn. 8f.). Eine Vertragspartei, die von der anderen Vertragspartei etwas verlangt, das ihr nach dem Vertrag nicht geschuldet ist, verletzt ihre Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB. Danach hat jede Vertragspartei auf die Rechte und Interessen der anderen Partei Rücksicht zu nehmen. Zu diesen Rechten und Interessen gehört auch das Interesse des Schuldners, nicht in weitergehendem Umfang in Anspruch genommen zu werden als in dem Vertrag vereinbart (BGH, Urteil vom 16. 1. 2009 - V ZR 133/08, NJW 2009, 1262 Rn. 17, beckonline). Im Sinne von § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zu vertreten hat die Vertragspartei diese Pflichtwidrigkeit aber nicht schon dann, wenn sie nicht erkennt, dass ihre Rechtsposition in der Sache nicht berechtigt ist, sondern erst, wenn sie diese Rechtsposition auch nicht als plausibel ansehen durfte (BGH a.a.O. Rn. 20). Letzteres war hier nicht der Fall. Ein Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung ist grundsätzlich gegeben. Dass solche Ansprüche im vorliegenden Fall nicht nach § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB ausgeschlossen sind, stellt eine vertretbare Rechtsansicht dar, die Geltendmachung der Ansprüche und Vereinnahmung der Zahlungen erfolgte somit nicht schuldhaft.