Dieselskandal: Opel Insignia muss zurückgenommen werden

Das Landgericht Ravensburg hat mit nunmehr veröffentlichtem Urteil vom 30.12.2022 (Aktenzeichen: 2 O 200/22) die Opel AG dazu verurteilt, einen im Jahr 2016 gebraucht gekauften Opel Insignia 2.0 mit Dieselmotor wegen sittenwidriger Schädigung zurückzunehmen. Zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens funktionierte das Emissionskontrollsystem in der Weise, dass die Abgasreinigung durch den Kläger unterhalb einer Temperaturschwelle von 16 °C, oberhalb einer Geschwindigkeit von 140 km/h, oberhalb einer Drehzahl von 2.900 U/min und unterhalb eines Umgebungsluftdrucks von 91,5 kPa reduziert wurde. 

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Am 06.10.2015 erwarb der Kläger das Fahrzeug bei einem Autohaus zu einem Kaufpreis in Höhe von 36.300,- € bei einem Kilometerstand von 5.059 km. Nach Aufforderung durch die Beklagte gem. Schreiben vom 10.05.2017 (Anl. K 24) ließ der Kläger im Mai 2017 ein von der Beklagten angebotenes freiwilliges Software-Update installieren. Mit dem Update wurde das Emissionskontrollsystem des Fahrzeugs verändert.

 

Mit Bescheid vom 17.10.2018 stellte das Kraftfahrtbundesamt (KBA) für verschiedene von der Beklagten hergestellte Fahrzeugtypen/-modelle - zu denen auch das streitgegenständliche Fahrzeugmodell zählt - fest, dass unzulässige Abschalteinrichtungen eingesetzt werden, und ordnete an, dass die Fahrzeuge in einen vorschriftsgemäßen Zustand zu bringen seien. Die Beklagte hat den Bescheid angefochten.

 

In einer Pressemitteilung vom 19. Oktober 2018 teilt das KBA in Bezug auf das Modell des Fahrzeugs des Klägers folgendes mit:

 

Bei der Überprüfung der Fahrzeugtypen Opel Insignia und Cascada 2,0 l (125 kw) sowie Zafira 1,6 l (88kw, 100kw), Zafira 2,0 l, (96kw, 125kw) Euro 6 aus den Modelljahren 2013 - 2016 wurden durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) unzulässige Abschalteinrichtungen festgestellt. Aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtungen kann es im Betrieb der Fahrzeuge zu erhöhten NOx-Emissionen kommen.

 

Mit Bescheid vom 17. Oktober 2018 wurde für die genannten Modelle (rund 96.000 weltweit, davon rund 32.000 Fahrzeuge in Deutschland) durch das KBA ein verpflichtender Rückruf angeordnet. Für rund 23.000 Fahrzeuge erfolgte bereits auf freiwilliger Basis die Umrüstung.

 

Dem Hersteller wurde aufgegeben, die bereits für die freiwillige Maßnahme freigegebene Verbesserungsmaßnahme auf alle betroffenen Fahrzeuge auszudehnen, um die unzulässigen Abschalteinrichtungen aus den betroffenen Fahrzeugen zu entfernen.

 

Diejenigen Kunden, die sich nicht an der freiwilligen Updatemaßnahme beteiligt hatten, erhielten in der Folgezeit ein Schreiben der Beklagten mit dem Inhalt wie in Anklage K 10, dass sie das bisher freiwillige Update bis 06.03.2020 durchführen müssten, da die zuständige Behörde andernfalls den Betrieb des Fahrzeugs untersagen könne.

 

Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 99.586 km. Der Kläger lässt sich auf seinen Schaden eine Nutzungsentschädigung von 10.029,80 € für die mit dem Fahrzeug zurückgelegten Kilometer anrechnen. Dabei legt er eine voraussichtliche Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 350.000 km zugrunde.

 

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte hafte gem. § 826 BGB auf Schadensersatz, da diese das Fahrzeug mit einer unzulässigen Motorsteuerung in Verkehr gebracht habe. Der Kläger steht auf dem Standpunkt, dass die temperatur-, geschwindigkeits-, drehzahl- und luftdruckabhängige Reduzierung der Abgasreinigung unzulässige Abschalteinrichtungen darstellten. Durch die Kombination verschiedener Parameter sei das Fahrzeug gezielt an den Prüfstand angepasst worden.

 

Der Kläger beantragt,

 

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei 36.300,- nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer Nutzungsentschädigung i.H.v. 10.029,80 € Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Opel Insignia Sports Tourer mit der Fahrgestellnummer …59 zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Die Beklagte meint, dass das ursprüngliche Emissionskontrollsystem des Fahrzeugs den gesetzlichen Anforderungen entsprochen habe und sich jedenfalls aufgrund des im Mai 2017 installierten Software-Updates auf dem aktuellsten emissionstechnischen Stand befinde.

 

Die Beklagte ist weiter der Ansicht, sie habe jedenfalls nicht vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt, da keine Prüfzykluserkennung vorliege wie bei dem VW-Motor EA189. Bei Funktionen, die im Prüfstandbetrieb und im Straßenbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise arbeiteten, liege kein sittenwidriges Verhalten des Herstellers vor. Die Beklagte habe im Typgenehmigungsverfahren korrekte und vollständige Angaben gemacht.

 

Des Weiteren macht die Beklagte geltend, dass etwaige Ansprüche verjährt seien, da sämtliche Umstände seit dem Jahr 2016 bekannt seien und außerdem in allen Medien prominent über den Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt mit Bescheid vom 17.10.2018 berichtet worden sei. Die Beklagte verweist zum Inhalt der Berichterstattung auf das Anlagenkonvolut B 18.

Das Landgericht hat die Entscheidung wie folgt begründet:

 

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus § 826 BGB in Höhe des Kaufpreises von 36.300,- € abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 11.633,95 €, also eines Betrages von 24.666,05 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs.

 

Die Anspruchsvoraussetzungen des § 826 BGB liegen vor:

 

1.

Die Beklagte hat den Kläger durch das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs geschädigt, indem sie das streitgegenständliche Fahrzeug mit einem Motor in Verkehr gebracht hat, der nicht vorschriftsgemäß ist, weil er unerlaubte Abschalteinrichtungen aufweist.

 

a) Nach Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 müssen Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sein, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen den Vorgaben der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die vorgegebenen Emissionsgrenzwerte auf das tatsächliche Verhalten der Fahrzeuge bei ihrer Verwendung beziehen (vgl. Erwägungsgrund 12 der VO (EG) 715/2007) und dass die zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte erforderliche Minderung der Stickoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen (vgl. Erwägungsgrund 6 der VO (EG) 715/2007) erreicht wird. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 715/2007 untersagt deshalb die Verwendung von Abschalteinrichtungen, welche die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern. Eine „Abschalteinrichtung“ wird in Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 definiert als ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird;

 

Der EuGH hat mit Urteil vom 14.07.2022, C-128/20 (Rn. 40) den Begriff des normalen Fahrzeugbetriebs gem. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 so ausgelegt, dass darunter die tatsächlichen Fahrbedingungen zu verstehen sind, so wie sie im Unionsgebiet üblich sind. Daher hat er entschieden, dass eine Einrichtung, die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1.000 Meter Meereshöhe erfolgt, eine „Abschalteinrichtung“ darstellt, da Umgebungstemperaturen von weniger als 15 °C sowie das Fahren auf Straßen oberhalb von 1.000 m im Unionsgebiet üblich sind (EuGH, a.a.O., Rn. 44).

 

Auch bei dem streitgegenständlichen Motor liegen Abschalteinrichtungen im Sinne des Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 vor. Mehrere Parameter sorgen dafür, dass die Abgasreinigung unter Bedingungen, die im europäischen Straßenverkehr üblich sind, reduziert wird. Die Beklagte hat nicht bestritten, dass die Abgasreinigung zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens und des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Kläger bereits ab einer Temperaturschwelle von 16 °C, oberhalb einer Geschwindigkeit von 140 km/h, oberhalb einer Drehzahl von 2.900 U/min und unterhalb eines Umgebungsluftdrucks von etwa 92 (kPa) reduziert wird.

 

Diese verminderte Abgasreinigung findet unter normalen Nutzungsbedingungen statt. Denn bei dem Betrieb von Kraftfahrzeugen im Unionsgebiet sind Temperaturen von weniger als 16 °C nichts Außergewöhnliches. Das Gleiche gilt für Geschwindigkeiten von mehr als 140 km/h auf der Autobahn (jedenfalls in Deutschland) und Drehzahlen des Motors oberhalb von 2.900 U/min. Im Hinblick auf den Bereich des Umgebungsluftdrucks von weniger als 91,5 kPa (ein Luftdruck von 91 kPa entspricht etwa einer Meereshöhe von 800 m) kann es dahingestellt bleiben, ob ab dieser Höhe nur verhältnismäßig wenig Straßenverkehr stattfindet, denn es handelt sich dennoch um eine Standardsituation im europäischen Straßenverkehr, man denke in Deutschland an Fahrten in den Alpen oder im Hochschwarzwald.

 

b) Die Beklagte kann diese Abschalteinrichtungen auch nicht dadurch rechtfertigen, dass sie notwendig gewesen seien, um den störungsfreien Betrieb der Fahrzeuge zu gewährleisten. Eine Abschalteinrichtung ist zwar nach Art. 5 Abs. 2 lit. a) VO (EG). 715/2007 zulässig, wenn sie notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Der EuGH legt Art. 5 Abs. 2 lit. a) der Verordnung Nr. 715/2007 aber restriktiv dahin aus, dass eine Abschalteinrichtung nach dieser Bestimmung zulässig ist, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Außerdem ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ im Sinne dieser Bestimmung, wenn zum Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (EuGH, Urteil vom 08.11.2022, C- 873/19 Rn. 95).

 

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte nicht konkret dargelegt, dass diese strengen Anforderungen an die ausnahmsweise Zulässigkeit der Abschalteinrichtungen erfüllt sind. Insbesondere fehlt es an der Voraussetzung, dass es bei Herstellung des Fahrzeugs keine andere technische Lösung als die Reduktion der Abgasreinigung gab, um der Entstehung konkreter Gefahren beim Fahren eines solchen Fahrzeugs vorzubeugen.

 

c) Der Schaden des Klägers besteht darin, dass er einen ungewollten Vertrag abgeschlossen hat. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger kein Fahrzeug erworben hätte, von dem er wusste, dass es den EU-Bestimmungen nicht entspricht, denn es drohte dadurch die Einschränkung des Betriebs oder der Entzug des Betriebserlaubnis (vgl. BGH, Beschluss vom 08.01.2019 - VIII ZR 225/17, juris Rn. 18 ff.).

 

Zwar verfügte das Fahrzeug formal über eine EG-Typgenehmigung. Diese hätte jedoch wegen des Vorhandenseins der Abschalteinrichtungen nicht erteilt werden dürfen.

 

2.

Das Verhalten der Beklagten ist bei einer Gesamtwürdigung objektiv als sittenwidrig einzustufen.

 

Durch die unzulässige Emissionsminderungsstrategie bei dem streitgegenständlichen Motor wurden die Prüfbehörden und die Fahrzeugerwerber bewusst getäuscht, wobei insbesondere das Vertrauen der Käufer in die EU-Übereinstimmungsbescheinigung ausgenutzt wurde.

 

Die besondere Verwerflichkeit dieses Verhaltens ergibt sich daraus, dass die Beklagte im Rahmen einer strategischen Entscheidung im Gewinninteresse die Typgenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde getäuscht hat. Dies geht einher mit einer Gesinnung, die sich gleichgültig zeigt sowohl im Hinblick auf die den zahlreichen Käufern möglicherweise eintretenden Schäden, als auch im Hinblick auf die Rechtsvorschriften zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt. Die Vorgehensweise ist vergleichbar derjenigen bei Verwendung der unzulässigen Software mit Prüfstanderkennung bei dem VW-Motor EA 189 durch die VW AG (hierzu BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, juris Rn. 23 ff.).

 

Die Beklagte hat zwar behauptet, sie habe das temperaturabhängige Verhalten der Abgassteuerung gegenüber dem KBA im Typgenehmigungsverfahren offengelegt. Ob das der Fall war kann offenbleiben, da die Beklagte nicht behauptet, sie habe auch die anderen Abschalteinrichtungen, basierend auf Geschwindigkeit, Drehzahl und Umgebungsluftdruck offengelegt.

 

Nach der Rechtsprechung des BGH begründet zwar der Einsatz eines Thermofensters nicht für sich genommen zwingend ein sittenwidriges Vorgehen. Es bedarf vielmehr weiterer besonderer Umstände, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19, juris Rn. 13 ff.). Im vorliegenden Fall liegen solche Umstände jedoch vor, denn die Beklagte hat außer dem Thermofenster noch drei weitere mit unterschiedlichen Parametern arbeitende Abschalteinrichtungen installiert und dadurch erreicht, dass das Fahrzeug im normalen Straßenverkehr noch weit über die temperaturbedingte Abschaltung hinaus im reduzierten Modus arbeitet.

 

Zwar hat der BGH zum Teil auch schon bei Vorliegen mehrerer Abschalteinrichtungen eine Sittenwidrigkeit verneint (BGH, Beschluss vom 29.09.2021 - VII ZR 223/20, juris Rn. 122, betreffend ein mit Thermofenster und Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung ausgestattetes Daimler-Dieselfahrzeug). Gerade im vorliegenden Fall ist aber aufgrund der Vielzahl der zum Abschalten eingesetzten Parameter (nämlich Temperatur, Geschwindigkeit, Drehzahl, und Luftdruck) eine Sittenwidrigkeit anzunehmen. Die Beklagte hat systematisch darauf hingearbeitet, dass das Fahrzeug nur auf dem Prüfstand ordnungsgemäß arbeitet und ansonsten in einem ganz großen Einsatzbereich nur mit reduzierter Abgasreinigung. Das Vorgehen ist dem Einbau einer Prüfstandserkennung wie bei dem VW-Motor EA 189 vergleichbar. Auch wenn keine Prüfstandserkennung im technischen Sinn eingebaut ist, sind die Parameter doch so gewählt, dass sie auf dem Prüfstand nicht eingreifen, während sie im Straßenverkehr sehr häufig anzutreffen sind. Es musste sich den bei der Beklagten verantwortlichen Personen aufdrängen, dass eine so weitgehende Abschaltung der Abgasreinigung nicht zulässig ist.

 

3.

Das Inverkehrbringen des Fahrzeugs mit der unzulässigen Abschalteinrichtung ist der Beklagten entsprechend § 31 BGB zurechenbar (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 29 ff.). Nach den Grundsätzen über die sekundäre Darlegungslast hätte die Beklagte zur Frage der Kenntnis ihrer verfassungsmäßigen Vertreter im Sinne des § 31 BGB vortragen müssen. Hierzu fehlt aber jeglicher Vortrag der Beklagten.

 

4. Die Beklagte hat auch vorsätzlich gehandelt, indem sie das Fahrzeug mit diesen Abschalteinrichtungen in Verkehr gebracht hat. Die Unzulässigkeit einer Software, bei der die ordnungsgemäße Abgasrückführung durch verschiedene Parameter im normalen Betrieb des Fahrzeugs reduziert wird, liegt so deutlich auf der Hand, dass ein Autohersteller dies nicht für regelkonform halten konnte.

 

5. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB berufen.

 

a) Der Anspruch aus § 826 BGB unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist nach § 195 BGB. Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Anspruchsteller Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen sowie der Person des Schuldners hat oder die Kenntnis infolge grober Fahrlässigkeit nicht hat, § 199 Abs. 1 BGB. Grob fahrlässige Unkenntnis liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. (BGH, Urteil vom 15. November 2011 - XI ZR 54/09, juris, Rn. 53). Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus (BGH, Urteil vom 15.03.2016 - XI ZR 122/14, juris Rn. 34).

 

Nach diesem Maßstab kann keine grob fahrlässige Unkenntnis angenommen werden, die die Verjährungsfrist spätestens am Ende des Jahres 2018 in Gang gesetzt hätte:

 

Zwar hat das Kraftfahrtbundesamt im Jahr 2018 durch eine Pressemitteilung über den verpflichtenden Rückruf diverser Dieselfahrzeuge der Beklagten informiert, und darüber wurde auch in den Medien berichtet. Die Beklagte selbst hat den Kläger zuvor aber genau entgegensätzlich informiert. Mit der Ankündigung des freiwilligen Updates mit Schreiben vom 10.05.2017 (Anlage K 24) hat sie dem Kläger wahrheitswidrig vorgespiegelt, dass sein Fahrzeug aktuell den Emissionsstandard Euro 6 erfülle und dass das Update dazu diene, sein Fahrzeug auf den neuesten Stand der neu produzierten Opel-Diesel-Modelle zu bringen. Verschwiegen wird völlig das Vorliegen von unerlaubten Abschalteinrichtungen, die durch das Update beseitigt werden sollten. Es handelt sich bei dem Schreiben somit um pure Desinformation.

 

Der Adressat dieses Schreibens musste davon ausgehen, dass sein Fahrzeug gerade nicht vom Dieselskandal betroffen ist. Nachdem der Kläger nach dem Zwangsrückruf im Jahr 2018 kein weiteres Schreiben von der Beklagten bekommen hat, durfte er sich in seinem Glauben bestärkt fühlen, dass sein Fahrzeug nicht zu den zurückgerufenen Fahrzeugen gehört. Zudem bestreitet die Beklagte bis heute, dass in den betroffenen Fahrzeugen unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut wurden, und sie hat den Rückrufbescheid angefochten. In dieser Situation war es nicht grob fahrlässig, wenn ein Fahrzeughalter den Angaben der Herstellerin Glauben schenkte und davon ausging, dass sein Fahrzeug nicht vom Abgasskandal betroffen ist.

 

6.

Der Kläger muss sich vom Kaufpreis eine Nutzungsvergütung für die von ihm gefahrenen Kilometer im Wege der Vorteilsausgleichung abziehen lassen. Die Nutzungsentschädigung errechnet sich aus den von der Klägerin gefahrenen 94.527 km (Kilometerstand zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung von 99.586 km abzüglich Kilometerstand beim Kauf von 5.059 km) dividiert durch die beim Kauf zu erwartende Restlaufleistung von 294.941 km (300.000 km abzüglich 5.059 km), multipliziert mit dem Händlereinkaufspreis in Höhe von 36.300,- €. Die erwartete Gesamtlaufleistung von 300.000 km schätzt das Gericht gem. § 287 ZPO (so auch für ein vergleichbares Fahrzeug OLG Stuttgart, Urteil vom 06.09.2017 - 4 U 105/17, juris Rn. 79, 89). Die Nutzungsentschädigung beträgt also:

94.527 km: 294.941 km * 36.300,- € = 11.633,95 €

 

7.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1 Satz 2; 291 BGB. Die Verzinsung beginnt mit dem Folgetag des Datums der Klageerwiderung der Beklagten vom 14.09.2022, denn mit der Ablehnung der mit der Klage beanspruchten Leistung von Schadenersatz gegen Herausgabe des Fahrzeugs kam die Beklagte in Annahme- und gleichzeitig in Schuldnerverzug.

 

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das Teilunterliegen des Klägers aufgrund einer bei Klagerhebung zu niedrig angesetzten Nutzungsentschädigung ist im Verhältnis geringfügig und hat nur geringfügige Mehrkosten verursacht. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.