Neues Widerrufsrecht bei Anschlusszinsvereinbarung?

Das Landgericht Kiel hat mit Beschluss vom 07.09.2018 (Az.: 12 O 92/18) eine praxisrelevante Frage dem EuGH zur Klärung vorgelegt: Haben Verbraucher bei Anschlusszinsvereinbarungen, die ausschließlich im Fernabsatz abgeschlossen wurden, nochmals ein Widerrufsrecht?

Die Entscheidung des Landgerichts Kiel lautet auszugsweise:

 

Tenor:

 

1.

Das Verfahren wird ausgesetzt

 

2.

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG (ABl. L 271, 09.10.2002, S. 16) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

 

Wird im Sinne des Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2002/65/EG ein Vertrag „im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- bzw. Dienstleistungssystems des Anbieters geschlossen“, mit dem ein bestehender Darlehensvertrag ausschließlich hinsichtlich der Höhe der vereinbarten Verzinsung geändert wird (Anschlusszinsvereinbarung), wenn eine Filialbank Darlehensverträge zur Immobilienfinanzierung mit grundpfandrechtlichen Sicherheiten nur in seinen Geschäftsräumen abschließt, jedoch in laufenden Geschäftsbeziehungen Verträge zur Änderung bereits geschlossener Darlehensverträge zum Teil auch unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abschließt?

 

Liegt ein „Finanzdienstleistungen betreffender Vertrag“ im Sinne des Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2002/65/EG vor, wenn ein bestehender Darlehensvertrag ausschließlich hinsichtlich der vereinbarten Verzinsung geändert wird (Anschlusszinsvereinbarung), ohne die Laufzeit des Darlehens zu verlängern oder dessen Höhe zu verändern?

 

 

Das Landgericht begründete seine Vorlage wie folgt:

 

I.

 

Die Beklagte ist eine regional tätige Filialbank. Sie schließt Darlehensverträge zur Immobilienfinanzierung mit grundpfandrechtlichen Sicherheiten nur in ihren Filialen ab. In Einzelfällen erfolgen in laufenden Vertragsbeziehungen Ergänzungen oder Änderungen solcher Verträge im Wege der Fernkommunikation. Unbestritten hatte die Beklagte Anfang 2008 bereits in einer mindestens dreistelligen Anzahl von Fällen Verträge unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen.

 

Der Rechtsstreit betrifft drei Darlehensverträge, welche die Klägerin als Verbraucherin geschlossen hat:

 

1. Am 01.07.1994 vereinbarte die Klägerin mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten die Gewährung eines Darlehens zur Immobilienfinanzierung in Höhe von 114.000 DM, das am 30.12.2017 zurückzuzahlen sein sollte (Darlehenskontonr. 53209110). Zu verzinsen sein sollte das Darlehen mit 6,95% p.a. Frühestens sechs Wochen vor dem 30.05.2004 sollte jede Partei Verhandlungen über eine Anpassung des Zinssatzes mit Wirkung ab dem 01.06.2004 verlangen können. Falls keine Vereinbarung über eine Anpassung zustande kommt, sollten ab dem 01.06.2004 „veränderliche Konditionen“ wie von der Beklagten für Darlehen dieser Art jeweils festgesetzt gelten (variabler Zinssatz). Vereinbart wurde eine grundpfandrechtliche Besicherung.

 

Am 25.05.2004 vereinbarten die Parteien im Wege einer Änderungsvereinbarung ab dem 01.06.2004 für die Dauer von zehn Jahren eine Verzinsung mit 5,03% p.a.

 

Im Oktober 2010 schlossen die Parteien unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln eine weitere Anschlusszinsvereinbarung, wonach das Darlehen ab dem 01.06.2014 für die verbleibende Vertragslaufzeit mit 4,01% zu verzinsen war. Der neue Zinssatz sollte bis zum bereits vereinbarten Vertragsende gelten. Über ein Widerrufsrecht wurde die Klägerin nicht belehrt.

 

Die Klägerin zahlte auf diesen Vertrag zwischen von Juni 2014 bis November 2017 8.180,76 € an die Beklagte.

 

Die Klägerin tilgte das Darlehen am 29.12.2017 durch Zahlung von 58.287,27 €.

 

2. Am 17.07.1994 vereinbarte die Klägerin mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten die Gewährung eines weiteren Darlehens zur Immobilienfinanzierung in Höhe von 112.000 DM (Darlehenskontonr. 73237471). Zu verzinsen sein sollte das Darlehen mit 5,7% p.a. Frühestens sechs Wochen vor dem 30.05.1999 sollte jede Partei Verhandlungen über eine Anpassung des Zinssatzes mit Wirkung ab dem 01.06.1999 verlangen können. Falls keine Vereinbarung über eine Anpassung zustande kommt, sollten ab dem 01.06.1999 „veränderliche Konditionen“ wie von der Beklagten für Darlehen dieser Art jeweils festgesetzt gelten (variabler Zinssatz). Vereinbart wurde eine grundpfandrechtliche Besicherung.

91999 vereinbarten die Parteien im Wege einer Änderungsvereinbarung mit Wirkung ab dem 01.06.1999 für die Dauer von zehn Jahren eine Verzinsung mit 4,89% p.a.

 

Unter dem 15.04.2009 vereinbarten die Parteien unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln eine Ergänzung des Darlehensvertrags. Vereinbart wurde ab dem 01.06.2009 für zehn Jahre eine Verzinsung mit 5,16% p.a. Über ein Widerrufsrecht wurde die Klägerin nicht belehrt.

 

Die Klägerin zahlte auf den Vertrag zwischen Juni 2009 bis Februar 2018 insgesamt 18.243,75 € an die Beklagte.

 

Außerdem zahlte die Klägerin an die Beklagte 12 € Kontoführungsgebühr am 30.11.2009.

 

 

3. Am 04.11.1999 gewährte die Rechtsvorgängerin der Beklagten der Klägerin ein Darlehen in Höhe von 30.000 DM (Darlehenskontonr. 70905104). Laut Vertrag sollte das Darlehen einer „Unternehmensbeteiligung“ dienen, tatsächlich sollte es vereinbarungsgemäß als Privatdarlehen dienen. Zu verzinsen sein sollte das Darlehen mit 6,6% p.a. Frühestens sechs Wochen vor dem 30.11.2008 sollte jede Partei Verhandlungen über eine Anpassung des Zinssatzes mit Wirkung ab dem 01.12.2008 verlangen können. Falls keine Vereinbarung zur Anpassung zustande kommt, sollten ab dem 01.12.2008 „veränderliche Konditionen“ wie von der Beklagten für Darlehen dieser Art jeweils festgesetzt gelten (variabler Zinssatz). Vereinbart wurde auch eine grundpfandrechtliche Besicherung.

 

Ende 2008 trafen die Parteien unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln eine Anschlusszinsvereinbarung, wonach das Darlehen ab dem 01.12.2008 für zehn Jahre mit 4,87% p.a. verzinst werden sollte. Über ein Widerrufsrecht belehrte die Beklagte die Klägerin nicht.

 

Die Klägerin zahlte auf den Vertrag zwischen Dezember 2008 und Februar 2018 insgesamt 8.328,33 € an die Beklagte.

 

Am 02.09.2015 widerrief die Klägerin die drei in den Jahren 2008, 2009 und 2010 geschlossenen Anschlusszinsvereinbarungen, wobei der Widerruf spätestens am 08.09.2015 bei der Beklagten einging. Begründet wurde der Widerruf damit, dass ein Fernabsatzgeschäftvorgelegen hätte. Am 30.09.2015 verweigerte die Beklagte ernsthaft und endgültig eine Zahlung aufgrund des Widerrufs.

 

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte verfüge über ein organisiertes Fernabsatzvertriebssystem. Die Klägerin sei zum Widerruf aus § 495 Abs. 1 BGB a.F. und nachrangig aus § 312d Abs. 1 S. 1 BGB a.F. berechtigt gewesen.

 

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin insbesondere die Rückzahlung der seit Abschluss der widerrufenen Änderungsvereinbarungen geleisteten Zins- und Tilgungsleistungen, des gezahlten Kontoführungsentgelts sowie Ersatz für die von der Beklagten daraus gezogenen Nutzungen. Wegen der Zusammensetzung der Klageforderungen im Einzelnen wird auf die Klageschrift nebst Anlagen Bezug genommen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 37.285,38 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

 

2. a) festzustellen, dass für den zwischen den Parteien bestehenden Darlehensvertrag über 112.000 DM (Konto Nr. 73237471) aufgrund des Widerrufs vom 02.09.2015 keine Vereinbarung über einen festen Zinssatz mehr besteht,

 

2b) festzustellen, dass für den zwischen den Parteien bestehenden Darlehensvertrag über 30.000 DM (Konto Nr. 70905104) aufgrund des Widerrufs vom 02.09.2015 keine Vereinbarung über einen festen Zinssatz mehr besteht,

 

3. a) festzustellen, dass die Klägerin wegen des Widerrufs vom 02.09.2015 zur Zahlung von monatlichen Teilbeträgen von 173,75 € auf das Konto Nr. 73237471 nicht mehr verpflichtet ist,

24b) festzustellen, dass die Klägerin wegen des Widerrufs vom 02.09.2015 zur Zahlung von monatlichen Teilbeträgen von 75,03 € auf das Konto Nr. 70905104 nicht mehr verpflichtet ist,

54. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger sämtliche Geldbeträge nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten [hilfsweise: 2,5 Prozentpunkten] über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem jeweiligen Eingang auf dem Darlehenskonto zurückzugewähren, die zwischen dem Tag nach der mündlichen Verhandlung und dem Zeitpunkt der Rechtskraft dieses Urteils auf die unter 2. und 3. genannten Darlehenskonten geflossen sind.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

 

Die Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin sei zum Widerruf nicht berechtigt gewesen. Die Klägerin habe nur einen Widerruf nach Fernabsatzrecht erklärt. Nach Verbraucherkreditrecht seien schon die ursprünglichen Darlehensverträge wegen der grundpfandrechtlichen Besicherung nicht widerruflich gewesen. Im Fall der unechten Abschnittsfinanzierung sei eine Anschlussvereinbarung, die kein weiter reichendes Kapitalnutzungsrecht vorsehe, nicht widerruflich. In den Anschlusszinsvereinbarungen liege auch keine Finanzdienstleistung im Sinne der gesetzlichen Vorschriften über Fernabsatzgeschäfte. Im Übrigen verkenne die Klägerin, dass selbst bei wirksamem Widerruf nur die Änderungsvereinbarungen rückabzuwickeln wären und die Darlehen vereinbarungsgemäß variabel zu verzinsen wären.

29§ 312b Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches in der vom 08.12.2004 bis 22.02.2011 gültigen Fassung (zuletzt geändert durch Gesetz vom 02.12.2004 (Bundesgesetzblatt I S. 3102)) lautet:

30(1) Fernabsatzverträge sind Verträge über die Lieferung von Waren oder über die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich Finanzdienstleistungen, die zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen werden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatzorganisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt. Finanzdienstleistungen im Sinne des Satzes 1 sind Bankdienstleistungen sowie Dienstleistungen im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung von Einzelpersonen, Geldanlage oder Zahlung.

31§ 312d Absatz 1 und Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches in der vom 08.12.2004 bis 10.06.2010 gültigen Fassung (zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.07.2002 (Bundesgesetzblatt I S. 2850)) lautet:

32(1) Dem Verbraucher steht bei einem Fernabsatzvertrag ein Widerrufsrecht nach § 355 zu. Anstelle des Widerrufsrechts kann dem Verbraucher bei Verträgen über die Lieferung von Waren ein Rückgaberecht nach § 356 eingeräumt werden.

33(2) Die Widerrufsfrist beginnt abweichend von § 355 Absatz 2 Satz 1 nicht vor Erfüllung der Informationspflichten gemäß § 312c Abs. 2, bei der Lieferung von Waren nicht vor dem Tage ihres Eingangs beim Empfänger, bei der wiederkehrenden Lieferung gleichartiger Waren nicht vor dem Tage des Eingangs der ersten Teillieferung und bei Dienstleistungen nicht vor dem Tage des Vertragsschlusses.

34§ 312d Absatz 1 und Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches in der vom 11.06.2010 bis 03.08.2011 gültigen Fassung (zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.07.2002 (Bundesgesetzblatt I S. 2850), vom 02.12.2004 (Bundesgesetzblatt I S. 3102), vom 29.07.2009 (Bundesgesetzblatt I S. 2355) und vom 29.07.2009 (Bundesgesetzblatt I S. 2413)) lautet:

35(1) Dem Verbraucher steht bei einem Fernabsatzvertrag ein Widerrufsrecht nach § 355 zu. Anstelle des Widerrufsrechts kann dem Verbraucher bei Verträgen über die Lieferung von Waren ein Rückgaberecht nach § 356 eingeräumt werden.

36(2) Die Widerrufsfrist beginnt abweichend von § 355 Abs. 3 Satz 1 nicht vor Erfüllung der Informationspflichten gemäß Artikel 246 § 2 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 und 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche, bei der Lieferung von Waren nicht vor deren Eingang beim Empfänger, bei der wiederkehrenden Lieferung gleichartiger Waren nicht vor Eingang der ersten Teillieferung und bei Dienstleistungen nicht vor Vertragsschluss.

 

II.

 

Ob der Klage hinsichtlich der Anträge zu 2 stattzugeben ist, hängt von der Auslegung des Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2002/65/EG ab. Vor einer Entscheidung ist das Verfahren deshalb auszusetzen und gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.

 

Sollten die widerrufenen Verträge zur Änderung von Darlehensverträgen als Fernabsatzverträge einzuordnen sein, konnte der erklärte Widerruf in Ermangelung der vorgeschriebenen Widerrufsbelehrung noch rechtswirksam erklärt werden. Anstelle des nachträglich vereinbarten festen Zinssatzes hätte dann die ursprünglich zwischen den Parteien vereinbarte variable Verzinsung zu erfolgen. Der Klage wäre dann insoweit stattzugeben als festzustellen wäre, dass für die entsprechenden zwischen den Parteien bestehenden Darlehensverträge aufgrund des Widerrufs vom 02.09.2015 keine Vereinbarung über einen festen Zinssatz mehr bestünde.

39Ein Widerrufsrecht der Klägerin ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Änderungsvereinbarungen als aufeinander folgende Vorgänge oder in einem zeitlichen Zusammenhang stehende Vorgänge der gleichen Art zu den entsprechenden Darlehensverträgen anzusehen wären (§ 312b Abs. 4 BGB a.F. in Umsetzung des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2002/65/EG). Erwägungsgrund 17 der Richtlinie 2002/65/EG macht deutlich, dass mit „aufeinander folgenden Vorgängen“ beispielsweise von einem Rahmenvertrag umfasste Zahlungsvorgänge oder Transaktionen gemeint sind, nicht aber Verträge zur Änderung eines geschlossenen Vertrags (vgl. auch die zurückgezogene EuGH-Vorlage des LG München I, Beschluss vom 29.06.2018, Az. 22 O 12332/17, Abs. 12). Auch bei Einordnung der Anschlusszinsvereinbarung als einer von „in einem zeitlichen Zusammenhang stehender Vorgänge der gleichen Art“ ist ein Widerrufsrecht nicht ausgeschlossen, weil die widerrufenen Änderungsverträge nicht innerhalb eines Jahres nach einem früheren „Vorgang der gleichen Art“ geschlossen wurden (§ 312b Abs. 4 S. 3 BGBa.F. in Umsetzung des Art. 1 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 der Richtlinie 2002/65/EG).

40Ein Widerrufsrecht nach den Vorschriften über Verbraucherkredite (§ 495 Abs. 1 BGB a.F. in Umsetzung der Richtlinie 2008/48/EG) kommt nicht in Betracht, weil mit den widerrufenen Anschlusszinsvereinbarungen kein Darlehen gewährt, also kein weiter reichendes Kapitalnutzungsrecht eingeräumt wurde als zuvor bereits vereinbart (vgl. BGH, Urteil vom 28.05.2013, Az. XI ZR 6/12).

 

1. Im Streitfall kommt es danach erstens auf die Frage an, ob die Verträge, mit denen bestehende Darlehensverträge ausschließlich hinsichtlich der vereinbarten Verzinsung geändert wurden (Anschlusszinsvereinbarungen), im Rahmen eines für den Fernabsatzorganisierten Vertriebs- bzw. Dienstleistungssystems des Anbieters geschlossen wurden. Die Beantwortung der ersten Vorlagefrage ist erforderlich, um die Umsetzungsnormen der §§ 312b Abs. 1, 312d Abs. 1 und 2 BGB a.F. auf den Streitfall anwenden zu können. Der Begriff des „Vertragsschluss[es] ... im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems“ (§ 312b Abs. 1 S. 1 BGB a.F.) ist im Einklang mit dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers richtlinienkonform auszulegen.

 

In Rechtsprechung und Rechtswissenschaft werden zur Auslegung dieses Begriffs vielfältige Auffassungen vertreten, ohne dass die Frage bisher geklärt wäre (näher z.B. Staudinger/Gregor Thüsing (2012) BGB § 312b, Rn. 46 ff.). Die Rechtsprechung nimmt bei lokalen Sparkassen bisher kein organisiertes Fernabsatzsystem an (OLG Hamm, Urteil vom 14.03.2011, Az. 31 U 162/10; OLG Schleswig, Urteil vom 12.11.2015, Az. 5 U 99/15). Allgemein heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs: „Die Existenz eines organisierten Vertriebssystems verlangt, dass der Unternehmer in personeller und sachlicher Ausstattung innerhalb seines Betriebs die Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, um regelmäßig im Fernabsatz Geschäfte zu tätigen“ (BT-Drucks 14/2658, 30). Diese Voraussetzungen dürften im Streitfall gegeben sein, weil die Beklagte personell und sachlich durchaus dafür ausgestattet ist, mit Bestandskunden regelmäßig im Fernabsatz Änderungs- und Ergänzungsvereinbarungen zu schließen. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs sollen allerdings Geschäfte, die unter gelegentlichem und eher zufälligem Einsatz von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden, vom Anwendungsbereich der Vorschriften ausgeschlossen werden (RegE FernAbsG BT-Drucks 14/2658, 30). Als Beispiel genannt werden Fälle, in denen ein Einzelhändler ausnahmsweise ein Kaufangebot über das Telefon entgegennimmt und die bestellte Ware an den Verbraucher ausliefert (Staudinger/Gregor Thüsing (2012) BGB § 312b, Rn. 46). Im vorliegenden Fall ist weder festgestellt, dass die Initiative zum Abschluss der Anschlusszinsvereinbarungen von der Klägerin ausging, noch erscheint die Beklagte mit einem Einzelhändler vergleichbar. Die Änderung von Darlehensverträgen ist auch mit einem „Gelegenheitskauf“ nicht zu vergleichen, sondern kann weitreichende Auswirkungen haben.

43Andererseits könnte eine Anwendung des Fernabsatzrechts auf die Beklagte dazu führen, dass diese Änderungsverträge nur noch in ihren Geschäftsräumen schließt. In diesem Fall stünde den Verbrauchern gleichfalls kein Widerrufsrecht zu und eine weiter gehende Beratung ist nicht unbedingt zu erwarten; zudem wäre eine von Verbrauchern gewünschte Vereinfachung des Abschlusses von Folgevereinbarungen durch Nutzung von Fernkommunikationsmitteln in diesem Fall nicht mehr möglich.

 

2. Im Streitfall kommt es zweitens auf die Frage an, ob eine Anschlusszinsvereinbarung als „Finanzdienstleistungen betreffender Vertrag“ anzusehen ist. Die Beantwortung der zweiten Vorlagefrage ist erforderlich, um die Umsetzungsnormen der §§ 312b Abs. 1, 312d Abs. 1 und 2BGB a.F. auf den Streitfall anwenden zu können. Der Begriff der „Verträge über ... die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich Finanzdienstleistungen“ (§ 312b Abs. 1 S. 1 BGB a.F.) ist im Einklang mit dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers richtlinienkonform auszulegen.

 

Das OLG Frankfurt vertritt dazu folgende Auffassung (Urteil vom 22.12.2017, Az. 23 U 195/16, nicht rechtskräftig wegen anhängiger Revision; weitere Urteile desselben Inhalts bei LG München I, Beschluss vom 29.06.2018, Az. 22 O 12332/17, Abs. 13): Die bloße Änderung von Konditionen eines bereits gewährten Kredits stelle keine (neue, eigenständige) Dienstleistung der Bank dar. Diese liege vielmehr in der ursprünglichen Kreditgewährung. Voraussetzung für die Annahme eines Fernabsatzvertrages sei stets die Lieferung einer Ware oder die Erbringung einer Dienstleistung durch den Unternehmer, so dass es nicht ausreiche, wenn nach der getroffenen Vereinbarung lediglich ein Verbraucher eine vertragscharakteristische Leistung schulde.

 

 

Die Richtlinie 2002/65/EG erfasst nach ihrem Wortlaut allerdings nicht nur Verträge über Finanzdienstleistungen, sondern auch „Finanzdienstleistungen betreffende Verträge“. Verträge zur Änderung von Darlehenskonditionen sind vom Wortlaut also erfasst. Auch der Schutzzweck der Richtlinie dürfte einschlägig sein, weil eine übereilte und ohne Beratung in persönlicher Anwesenheit vereinbarte Konditionenanpassung je nach Inhalt der Vereinbarung den Verbraucher übervorteilen kann. Zudem wäre nach der vorgenannten Auffassung selbst dann kein Widerrufsrecht gegeben, wenn die Initiative zu einer (möglicherweise für den Verbraucher nachteiligen) Vertragsänderung per Fernabsatz vom Anbieter ausgeht, was bedenklich erscheint. Es könnte Schutzlücken eröffnen, wenn selbst ein widerruflicher, aber nicht widerrufener Vertrag nachträglich zum Nachteil des Verbrauchers geändert werden könnte, ohne dass ein erneutes Widerrufsrechtbezüglich der Vertragsänderung bestünde. Im Übrigen ist zu beachten, dass eine Anschlusszinsvereinbarung den Verbraucher bei Immobiliardarlehen an einer ordentlichen Kündigung des Darlehens für die Dauer der fest vereinbarten Verzinsung hindert (§ 489 Abs. 1BGB).